I. Ausgangspunkt: Die nationalen Regelungen zur steuerlichen Organschaft und der Einfluss durch die Rechtsprechung des EuGH
Rz. 78
Von besonderem Interesse sind angesichts der getroffenen Feststellungen über die Zulässigkeit grenzüberschreitender Unternehmensverträge die Auswirkungen unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten bzw. die Frage, inwiefern das deutsche Steuerrecht den Anforderungen gerecht wird, welche das Gemeinschaftsrecht aufstellt. Für die steuerrechtliche Organschaft nach deutschem Recht, für welche gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG ein Gewinnabführungsvertrag erforderlich ist, ergibt sich aus dem Festgestellten, dass diese grundsätzlich auch unter Beteiligung ausländischer Gesellschaften begründet werden kann. Die Regelungen zur körperschaftlichen Organschaft wurden 2013 erneuert. Dies erfolgte als Reaktion aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der nationalen Regelungen zur Organschaft mit dem Unionsrecht. Zudem bestand gesetzgeberischer Handlungsbedarf durch das EU-Vertragsverletzungsverfahren. Die Rechtsprechung des EuGH in Sachen Centros, Überseering und Inspire Art verdeutlicht, dass beim Zuzug von Kapitalgesellschaften keine strengeren Anforderungen gestellt werden dürfen, nur weil die Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat gegründet worden ist. Zudem war auch Handlungsbedarf hinsichtlich der deutschen Regelungen zur steuerrechtlichen Organschaft durch die EuGH-Rechtsprechung zur grenzüberschreitenden Verlustverrechnung gegeben, welche im Folgenden näher dargestellt werden soll.
II. "Marks & Spencer"-Entscheidung
1. Grenzüberschreitende Verlustverrechnung
Rz. 79
Von Interesse für die Beurteilung der Unionsrechtmäßigkeit der deutschen Organschaftsregelungen ist die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Marks & Spencer plc gegen David Halsey, Inspector of Taxes. Sie ist Ausgangspunkt einer Rechtsprechung, welche die Entwicklung allgemeiner Grundsätze zur Behandlung grenzüberschreitender Verlustverrechnung zur Folge hat. In dieser Rechtssache hatte der EuGH die Vereinbarkeit der britischen Regelung zum Konzernabzug mit dem Gemeinschaftsrecht zu beurteilen. Besondere Bedeutung hatte dieses Verfahren für das Steueraufkommen der einzelnen Mitgliedstaaten, so dass das Interesse an dessen Ausgang außerordentlich groß war. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob der britische "group relief", der keine Verrechnung von Gewinnen der Inlandsmuttergesellschaften mit Verlusten der Auslandstochtergesellschaften zulässt, mit Art. 43 und 48 EGV (jetzt: Art. 49 und 54 AEUV) vereinbar ist.
2. Sachverhalt
Rz. 80
Konkret liegt dem Verfahren der folgende Sachverhalt zugrunde: Die Marks & Spencer plc mit Sitz im Vereinigten Königreich ist die Hauptgesellschaft eines Konzerns. Sie hat über eine Holdinggesellschaft mit Sitz in den Niederlanden u.a. Tochtergesellschaften mit Sitz in Deutschland, Belgien und Frankreich. Nachdem die Tochtergesellschaften jahrelang Verluste verzeichneten, stellte das Unternehmen seine Tätigkeit in Frankreich, Deutschland und Belgien im Jahre 2001 ein. Marks & Spencer stellte in den Jahren 2000 und 2001 beim Inspector of Taxes Anträge auf den Konzernabzug der durch die Tochtergesellschaften entstandenen Verluste, da ein solcher Abzug im britischen Steuerrecht zulässig sei. Die Anträge wurden jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass die gesetzliche Regelung des Konzernabzugs keine Anwendung auf Tochtergesellschaften finde, die im Vereinigten Königreich weder ihren Sitz hätten noch sich dort wirtschaftlich betätigten. Die Klage bei den Special Commissioners (Finanzgericht erster Instanz) hatte keinen Erfolg. Das Gericht sah auch keinen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht. Erst das Rechtsmittel beim High Court of Justice, Chancery Division, führte zu einer Vorlage beim EuGH.
3. Schlussanträge des Generalanwalts vom 7.4.2005
Rz. 81
Der Generalanwalt sieht in der britischen Regelung eine Beschränkung der britischen Gesellschaft beim Verlassen des Landes, da ihr eine ungünstige Be...