A. Einführung
Rz. 1
Die Tendenz zu einer zunehmenden grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Tätigkeit nicht nur von Großunternehmen, sondern auch seitens vieler Mittelständler hat sich in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Gerade innerhalb von Unternehmensgruppen stellt sich dabei häufig die Frage nach Zulässigkeit und Durchführung von Unternehmensverträgen. In Deutschland ist die Motivation zum Abschluss von Unternehmensverträgen dabei vor allem steuerlich bedingt. Ziel des Abschlusses eines Ergebnisabführungsvertrags ist nämlich die Herstellung einer steuerlichen Organschaft, innerhalb derer das beherrschte Unternehmen als sog. Organgesellschaft trotz ihrer rechtlichen Selbstständigkeit im Rahmen der Umsatz-, Gewerbe- und Körperschaftsteuer als Teil des herrschenden Unternehmens (sog. Organträger) angesehen wird. Die steuerliche Organschaft führt dazu, dass für die Körperschaft- und Gewerbesteuer Gewinne und Verluste der beteiligten Unternehmen verrechnet werden können, §§ 14–19 KStG, § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG. Die besondere Bedeutung von Unternehmensverträgen in Deutschland ist darauf zurückzuführen, dass nur eine infolge ihres Abschlusses begründete Organschaft zur steuerlichen Zurechnung führen kann, während in zahlreichen ausländischen Steuersystemen das Prinzip der Konzernbesteuerung gilt, welches teilweise geringere Anforderungen an die Zurechnung stellt. Die nachfolgende Darstellung konzentriert sich auf grenzüberschreitende Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsverträge; anderweitige Verträge nach § 292 AktG wie z.B. Teilgewinnabführungsverträge und Betriebsführungsverträge werden nicht behandelt.
B. Gemeinschaftsrechtliche Ausgangslage
Rz. 2
Nach Hinweisen zur Frage der Zulässigkeit von Unternehmensverträgen sucht man im Gemeinschaftsrecht vergeblich, obwohl bereits mehrfach Versuche unternommen wurden, eine diesbezügliche Gesetzgebung in die Wege zu leiten. So sollten ursprünglich in die Verordnung über die europäische Aktiengesellschaft auch ausführliche Regelungen zum Konzernrecht aufgenommen werden. Entsprechende Entwurfsteile wurden jedoch bald wieder gestrichen. Auch die Entwürfe zu einer Konzernrechtsrichtlinie, die bereits 1974 vorlagen und die einen Beherrschungsvertrag und einen Abhängigkeitsbericht ähnlich dem deutschen Muster vorsahen, wurden letztlich zurückgezogen. Die 13. Richtlinie auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts zu Übernahmeangeboten (Übernahmerichtlinie), deren Umsetzung zum 14.7.2006 vorgenommen wurde, hat zahlreiche Änderungen und Ergänzungen des WpÜG nach sich gezogen. Zur Frage der Zulässigkeit und Durchführung von grenzüberschreitenden Unternehmensverträgen enthielt die Übernahmerichtlinie jedoch keine Regelungen.
Rz. 3
Allerdings sind im Bereich des Gemeinschaftsrechts die Vorgaben durch die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV (ex-Art. 43, 48 EGV) zu beachten. Die Grundfreiheiten des AEUV erfassen die sekundäre Niederlassungsfreiheit, also die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat. Jedenfalls insoweit gelten sie nach der Rechtsprechung des EuGH in Sachen Centros, Überseering und Inspire Art als unstreitig und sind Ausdruck des Binnenmarktprinzips in der EU. Gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. b) AEUV (ex-Art. 3 Abs. 1 lit. c) EGV) und Art. 26 Abs. 2 AEUV (ex-Art. 14 Abs. 2 EGV) hat dieses zum Ziel, einen Raum ohne Binnengrenzen zu schaffen, in welchem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet wird. Da sich der Umfang der Grundfreiheiten nicht aus dem AEUV selbst ablesen lässt, muss insofern die ausführliche Rechtsprechung des EuGH herangezogen werden, wobei er eine weite Auslegung vornimmt. In den Entscheidungen Cartesio, Cadburry/Schweppes, VALE und Polbud lässt er aber auch – ohne dass er grundsätzlich davon ausgeht, dass das Unternehmen, das sich auf die Niederlassungsfreiheit beruft, auch eine wirtschaftliche Tätigkeit im Zielstaat ausübt – einen Anspruch zu. Es berührt unzweifelhaft die Niederlassungsfreiheit, wenn einem Unternehmen das Recht verwehrt wird, Einfluss auf seine Tochtergesellschaft im Ausland zu nehmen. Insbesondere ist es von ausschlaggebender Bedeutung, ob Gewinne und Verluste der Tochter wie Gewinn und Verlust der Mutter verrechnet werden dürfen.