Benjamin Ballhorn, Jan König
Rz. 123
Zentrales Wertkonzept für steuerlich bedingte Bewertungen ist der gemeine Wert gem. § 9 Abs. 2 BewG. Der gemeine Wert wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes unter Berücksichtigung aller den Preis beeinflussenden Umstände bei der Veräußerung zu erzielen wäre. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind außer Acht zu lassen. Die Begriffsdefinition im BewG lässt jedoch offen, wie der gemeine Wert abzuleiten ist. Mit der Legaldefinition greift das Bewertungsgesetz allerdings mehrere prägende Kriterien des gemeinen Wertes auf. Zum einen wird deutlich, dass es sich bei diesen nicht um einen Nutzenwert handelt, der bei einer Weiterführung in der bestehenden Eignerstruktur realisiert werden kann. Vielmehr soll es sich bei dem gemeinen Wert um einen Wertansatz handeln, der erst im Falle eines Verkaufs realisiert werden kann. Im Ergebnis ist somit die Fiktion eines Eigentümerwechsels anzunehmen. Dies ist eine implizite Eigenschaft des gemeinen Wertes als preisorientiertes Konzept.
Rz. 124
Der Gesetzgeber präferiert für die Ermittlung eines gemeinen Wertes die Erwerbersicht. Dies ergibt sich aus der allgemeinen Definition sowie aus den konkreten nachfolgenden Vorschriften, wonach auf die Methode abzustellen ist, die ein Erwerber bei der Ermittlung des Kaufpreises zugrunde legen würde. Für die Ermittlung eines im Verkaufsfalle realisierbaren Betrags ist somit ein potentieller Erwerber zu unterstellen, der am Erwerb des Wirtschaftsgutes mit seiner tatsächlichen Beschaffenheit interessiert ist.
Rz. 125
Die Fiktion des Eigentümerwechsels bedingt jedoch auch, dass trotz Erwerberperspektive nicht ausschließlich auf die (Rendite-)Erwartungen eines potentiellen Erwerbers abgestellt werden darf. Vielmehr ist auch zu überprüfen, ob die bisherigen Eigentümer bereit sind, zu einem derart kalkulierten Preis zu veräußern. Ansonsten würde sich der gemeine Wert nicht im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs realisieren lassen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist unter "gewöhnlichem Geschäftsverkehr" der Handel zu verstehen, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang, sondern in Wahrung seiner eigenen Interessen handelt. Somit handelt es sich bei dem gemeinen Wert um einen Betrag, der im Fall einer Veräußerung üblicherweise erzielbar ist. Da ein potentieller Erwerber im Unterschied zum Verkäufer bemüht sein wird, den Preis möglichst niedrig zu halten, sollen nach dem Willen des Gesetzgebers mögliche Schätzungenauigkeiten, die zulasten des Steuerpflichtigen gehen, vermieden werden.
Rz. 126
Im Ergebnis ist somit eine Verkaufssituation zu fingieren, aus der ein gemeiner Wert bestimmt werden kann. Da persönlich geprägte Kriterien der beteiligten Verhandlungspartner bewusst nicht ins Kalkül eingehen, ist dieser anhand von objektivierten Wertmaßstäben zu bestimmen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine Entkopplung von Subjekt und Objekt aus Sicht der Bewertung nicht möglich ist. Der Wert eines Gutes ist immer eine subjektive Eigenschaft. Daher wird der Wert eines Unternehmens von dem subjektiven Nutzen bestimmt, den seine Eigentümer aus ihm ziehen können. Dieser Nutzen bemisst sich in erster Linie an den monetären Mitteln, die aus dem Unternehmen "herausholbar" sind. Jede Bewertung setzt somit ein Bewertungssubjekt voraus, aus dessen Perspektive die Bewertung eines Bewertungsobjekts vorzunehmen ist. Durch die gesetzliche Zugrundelegung der Erwerbersicht soll jedoch keineswegs auf einen subjektiven Unternehmenswert abgestellt werden. Vielmehr bedarf es im Rahmen gutachterlicher Bewertungen der Objektivierung eines grundsätzlich subjektbezogenen Unternehmenswertes.