Benjamin Ballhorn, Jan König
Rz. 54
Bei Einzelbewertungsverfahren wird der Unternehmenswert durch eine isolierte Bewertung der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden zu einem bestimmten Stichtag ermittelt. Je nach Ansatz verschiedener Wertmaßstäbe für die einzelnen Vermögensgegenstände können sich unterschiedliche Ausprägungen ergeben. Methodisch wird im Rahmen der Einzelbewertung insbesondere zwischen dem Liquidationswert und dem Substanzwert unterschieden.
1. Liquidationswert
Rz. 55
Der Liquidationswert ist grds. immer dann anzusetzen, wenn der Barwert der finanziellen Überschüsse, die sich bei Liquidation des gesamten Unternehmens ergeben, den Fortführungswert übersteigt. Der Liquidationswert, der auch als Zerschlagungswert bezeichnet wird, stellt nach herrschender Meinung in der betriebswirtschaftlichen Literatur und Praxis die Wertuntergrenze dar. Dies gilt zumindest dann, wenn eine Liquidation nicht rechtlich oder faktisch ausgeschlossen ist. Der Liquidationswert ergibt sich als Barwert der Nettoerlöse, die sich aus der Veräußerung der Vermögensgegenstände abzgl. Schulden und Liquidationskosten ergeben. Die Vermögensgegenstände des Unternehmens sind daher mit ihren jeweiligen Veräußerungserlösen anzusetzen. Die Bestimmung des Liquidationswertes hat unter Berücksichtigung des bestmöglichen Verwertungs- und Liquidationskonzepts zu erfolgen. Dabei können Abschläge für eine eingeschränkte Verwertbarkeit gerechtfertigt sein. Die Veräußerungserlöse werden maßgeblich durch die Zerschlagungsintensität und Zerschlagungsgeschwindigkeit beeinflusst.
Rz. 56
Da sich der Liquidationswert nur unter der Prämisse einer Veräußerung sämtlicher Vermögensgegenstände realisieren lässt, sind im Rahmen der Liquidationswertermittlung sowohl Liquidationskosten als auch transaktionsbedingte Ertragsteuern, die aus der Aufdeckung stiller Reserven resultieren, wertmindernd zu berücksichtigen. Neben den vom Unternehmen zu leistenden Ertragsteuern auf Liquidationsgewinne sind dabei auch persönliche Ertragsteuern der Unternehmenseigner in Betracht zu ziehen. Zu den Kosten der Liquidation zählen bspw. die Kosten des Abwicklungsvorgangs selbst, Abbruch- und Sanierungskosten sowie Sozialplanverpflichtungen. Nicht anzusetzen sind hingegen Verpflichtungen, die mit der Liquidation entfallen (bspw. Kulanz- oder Restrukturierungsrückstellungen).
2. Substanzwert
Rz. 57
Im Gegensatz zum Liquidationswert als Verkaufs- bzw. Zerschlagungswert handelt es sich bei dem Substanzwert um den Gebrauchswert der betrieblichen Substanz. Über den Begriff und den konkreten Inhalt zur Ableitung des Substanzwerts und die zu berücksichtigenden Posten gibt es verschiedenste Auffassungen. Unter der Fiktion der Going-Concern-Prämisse geht der Substanzwert prinzipiell vom Nachbau des Unternehmens auf der "grünen Wiese" aus. Grundüberlegung in diesem Kontext ist, was für einen fiktiven Nachbau des Bewertungsobjekts geleistet werden muss. Es handelt sich somit um einen sog. Rekonstruktionswert, der eine Orientierung am Beschaffungsmarkt vorsieht. Die Vermögensgegenstände werden mit ihren Wiederbeschaffungsaltwerten entsprechend ihrem Zustand zum Bewertungsstichtag angesetzt. In der wissenschaftlichen Diskussion wird hervorgehoben, dass die Substanz eines Unternehmens keinen Wert an sich hat. Die Werthaltigkeit oder ihr finanzieller Nutzen ergeben sich erst durch Liquidation oder durch Ersparen zukünftiger Ausgaben. Daher wird bei der Diskussion um die Ausgestaltung ebenso differenziert zwischen dem Nachbau des aktuellen Unternehmens oder einem effizienten Vergleichsobjekt. Im Ergebnis wird die Anwendung des Substanzwertes bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen in der Literatur kritisch gesehen. Der Substanzwert stellt keinen brauchbaren Anhaltspunkt für den Unternehmenswert dar.
Da dem Substanzwert grundsätzlich der direkte Bezug zu künftigen finanziellen Überschüssen fehlt, kommt ihm auch bei der Ermittlung des Unternehmenswerts nach den Grundsätzen des IDW S 1 keine eigenständige Bedeutung zu. Darüber hinaus verstößt der Substanzwert gegen den Grundsatz der Bewertungseinheit, da nur einzelne Vermögenswerte addiert werden. Dieser elementare Verstoß führt leicht zu falschen Wertansätzen.