Benjamin Ballhorn, Jan König
Rz. 137
Bei Wertermittlungen für steuerliche Zwecke ist ferner zu berücksichtigen, dass gemäß § 11 Abs. 2 S. 3 BewG die Summe der gemeinen Werte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter und sonstigen aktiven Ansätze abzüglich der zum Betriebsvermögen gehörenden Schulden und sonstigen Abzüge (Substanzwert) nicht unterschritten werden darf. Diese Untergrenze soll gelten, wenn der gemeine Wert weder aus dem Börsenkurs noch aus zeitnahen Verkäufen hergeleitet wird, sondern nach einer im gewöhnlichen Geschäftsverkehr üblichen Methode. Wird also der gemeine Wert im Rahmen einer Schätzung ermittelt, soll der Rückgriff auf die betriebliche Substanz eine höhere Objektivierung sicherstellen.
Rz. 138
Bei der Ableitung des gemeinen Werts wird einem so definierten "Substanzwert" demnach eine besondere Kontrollfunktion zuteil. Bei dem Substanzwertverfahren handelt es sich grundsätzlich um einen Einzelbewertungsansatz. Der Unternehmenswert wird hierbei aus der Summe der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden abgeleitet. In einem ersten Schritt werden dabei die einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden einer gesonderten Bewertung unterzogen. Anschließend werden diese Einzelwerte zu einem Gesamtunternehmenswert zusammengefügt. Wertbestimmend sind einerseits die Menge der einzubeziehenden Vermögensgegenstände und Schulden sowie andererseits deren Wertansatz. Über den konkreten Inhalt zur Ableitung des Substanzwerts und die zu berücksichtigenden Posten gibt es verschiedenste Auffassungen. Unter der Fiktion der Going-Concern-Prämisse geht der Substanzwert im betriebswirtschaftlichen Sinne prinzipiell vom Nachbau des Unternehmens auf der "grünen Wiese" aus.
Rz. 139
Abzugrenzen vom Substanzwert im betriebswirtschaftlichen Verständnis ist der Substanzwertbegriff der Steuerpraxis. Anders als bei einem ökonomisch geprägten Begriff liegt für steuerliche Zwecke eine Legaldefinition vor. Bei dem Substanzwert im steuerlichen Sinne sind die Vermögenswerte demnach mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Durch den Ansatz gemeiner Werte als Verkehrswerte, die sich bei einer Veräußerung ergeben, stellt der steuerliche Substanzwert somit im weitesten Sinne einen Veräußerungswert dar. Im Gegensatz zum betriebswirtschaftlichen Verständnis wird hier nicht von einem Nachbau des Unternehmens ausgegangen, sondern von einer "bestmöglichen Vermögensversilberung". Es handelt sich somit um eine Art von Liquidationswert, bei dem die Veräußerung sämtlicher Vermögensgegenstände und die Rückführung der Schulden unterstellt werden.
Rz. 140
Ein solcher Liquidationsgedanke ist auch in der betriebswirtschaftlichen Unternehmensbewertung zu finden. Im betriebswirtschaftlichen Kontext stellt der Liquidationswert die Wertuntergrenze dar. Sofern es sich gegenüber der Fortführung des Unternehmens als vorteilhaft erweist, sämtliche Vermögensteile einzeln zu veräußern, ist der Liquidationswert anzusetzen. Im Gegensatz zur steuerlichen Wertuntergrenze wird hier auf einen Wertmaßstab zurückgegriffen, der konsequent die Veräußerungsperspektive einnimmt. So werden anfallende Kosten und sonstige wirtschaftliche Belastungen berücksichtigt, da diese Teil des Verkaufsprozesses sind und in die Überlegungen der Marktakteure einfließen. Damit unterscheidet sich die ökonomische Wertuntergrenze grundsätzlich von der steuerlichen Wertuntergrenze. Während bei der steuerlichen Betrachtung vereinfachend die Summe der Einzelveräußerungspreise mit dem Mindestwert gleichgesetzt wird, wird bei der betriebswirtschaftlichen Analyse der gesamte Veräußerungsprozess in Abhängigkeit vom gewählten Zerschlagungskonzept mit seinen verschiedenen Wertimplikationen auf den unterschiedlichen Ebenen nachgebildet. Ein so verstandener Wertansatz würde auch eine konkrete Verwendung des zu bewertenden Vermögens vorsehen. Während bei dem Ertragswert die eigene Nutzung im Rahmen des geltenden Unternehmenskonzepts unterstellt wird, fließen bei der Ermittlung des Liquidationswerts die Erlöse der Veräußerung ein. Beiden Verfahren ist gemein, dass sie eine Verwendung der zu bewertenden Substanz annehmen, bei der – anders als beim Nachbau – eine Marktbestätigung überprüft werden kann. Die Notwendigkeit einen am Markt realisierbaren Preis zu ermitteln, wird auch vom Gesetzgeber grundsätzlich erkannt. So sieht die Gesetzesbegründung zum ErbStRG 2009 den Substanzwert als einen "[…] Mindestwert, den ein Steuerpflichtiger am Markt erzielen könnte".
Rz. 141
Auch für die Ermittlung des Substanzwerts ist somit als Mindestwert eine Orientierung an realisierbaren Marktpreisen vorgesehen. Während jedoch nur für den Fall einer tatsächlichen Liquidation ein einheitliches und in sich stimmiges Nutzungskonzept vorhanden ist, steht der Steuerpflichtige bei einer geplanten Unternehmensfortführung vor dem Dilemma, dass er mit dem von der Finanzverwaltung ausgestalteten Substanzwert einen Mindestwert gegen sich gelten lassen muss, bei dem das konkrete N...