Dr. Konrad Osthold, Désirée Goertz
Rz. 1
Die Frage der Erbenhaftung steht häufig am Anfang der Überlegungen im Hinblick auf das weitere Vorgehen nach Kenntnis über den Anfall einer Erbschaft. Steht eine Überschuldung fest oder erscheint diese möglich, wählen viele die Ausschlagung als erstes Mittel, sich vor sog. Fremdgläubigern, also Gläubigern des Erblassers, zu schützen. Diese "Flucht in die Ausschlagung" ist ein Erbrechtlern gut bekanntes Praxisphänomen. Auch wenn die Ausschlagung geeignet ist, dem zunächst Berufenen Probleme "vom Hals zu halten", verlagert es diese aus objektiver Sicht bloß auf den Nächstberufenen.
Rz. 2
Entscheidet sich ein Erbe gegen eine Ausschlagung oder versäumt er die entsprechende Frist, ist sein Interesse darauf gerichtet, nur mit dem für Nachlassverbindlichkeiten zu haften, was er im Wege des Erbganges erhalten hat. Eine Haftung ultra vires hereditatis – also darüber hinaus mit seinem Eigenvermögen – möchte er ebenso verhindern wie seine Eigengläubiger (Gläubigerkonkurrenz).
Rz. 3
Die Gefahr der Gläubigerkonkurrenz ist vor allem bei der Vermischung des Nachlasses und des Erbeneigenvermögens tatsächlich – durch Inbesitznahme – und rechtlich – durch Konsolidation und Konfusion – gegeben. Genau dies sieht das geltende Recht grundsätzlich vor: Der Erbe rückt im Wege der Universalsukzession nach § 1922 BGB in die Rechtsstellung des Erblassers ein und haftet gem. § 1967 BGB auch für dessen Verbindlichkeiten. Wie sich aus der Zusammenschau der §§ 1975 ff. BGB ergibt, haftet der Erbe dabei grundsätzlich auch mit seinem Eigenvermögen für Nachlassverbindlichkeiten, also unbeschränkt, aber auf den Nachlass beschränkbar. Der Erbe muss also eines der im Folgenden darzustellenden Haftungsbeschränkungsmittel aktiv ergreifen, um seine Haftung zu begrenzen (vgl. Rdn 79). Tut er das, führt dies zur Absonderung des Nachlasses vom Eigenvermögen, entweder tatsächlich, durch Aushändigung an einen gerichtlichen Verwalter, oder zumindest rechtlich. Die Absonderung bedingt gem. § 1978 Abs. 1 S. 1 BGB eine rückwirkende Haftung des Erben den Nachlassgläubigern gegenüber für die bisherige Verwaltung des Nachlasses, und zwar so, als "wenn er von der Annahme der Erbschaft an die Verwaltung für sie als Beauftragter zu führen gehabt hätte". Diese Verwalterhaftung soll den Nachlassgläubigern einen Schutz für den Zeitraum zwischen Erbschaftsannahme und Haftungsbeschränkung bieten, welcher durch die schwer handhabbare rückwirkende Fiktion von Handlungspflichten sowie die eigenartige Rechtsfigur der sog. Nachlasserbenschuld erreicht werden soll.
Rz. 4
Diese am Alleinerben ausgerichtete Gestaltung des Erbenhaftungsrechts wird durch die Vorschriften der §§ 2058–2063 BGB ergänzt, welche den zusätzlich bei einer Erbengemeinschaft bestehenden Problemstellungen Rechnung tragen sollen. Diese liegen insbesondere in der Personenmehrheit, der sich ein Nachlassgläubiger nach dem Erbfall anstelle des Erblassers gegenübersieht. Zum anderen handelt es sich bei der Erbengemeinschaft um eine Gesamthand, deretwegen – anders als beim Alleinerben – keine Vermögensvermischung eintritt. Entsprechend des haftungsrechtlichen Separationsprinzips kommt es daher zunächst nicht zu einer unbeschränkten Haftung der (Mit-)Erben. Diese sehen sich zudem den Fragen ausgesetzt, in welchem Umfang sie als bloße Miterben haften (Haftungsumfang), womit sie das angesichts mangelnder Verfügungsbefugnis (§ 2040 BGB) tun (Haftungsmasse) und wie sie ggf. Regress für eine überquotale Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten bei Miterben nehmen können.
Rz. 5
Wichtig ist zudem, dass es grundsätzlich zwei unterschiedliche Arten der Haftungsbeschränkung gibt: einmal die gegenständliche (cum viribus hereditatis), d.h. auf die Nachlassgegenstände bezogene, zum anderen die wertmäßige (pro viribus hereditatis), welche die Haftung auf den Wert des Nachlasses begrenzt. Der Gesetzgeber hat sich grundsätzlich für die gegenständliche Haftungsbeschränkung entschieden. Zudem finden sich im BGB einige Regelungen (bspw. § 2319 BGB), die schon die Schuld begrenzen. Daher sind diese Regelungen keine der Haftungsbeschränkung im engeren Sinne.
Rz. 6
Hinweis
Die Regeln zur Haftung von Miterben sind, i.S.d. Separationsgrundsatzes folgerichtig, von der Zäsur der Nachlassteilung geprägt. Bis dorthin haften die Miterben als Gesamtschuldner, und zwar nur mit ihrem Erbteil. Dementsprechend stehen Nachlassgläubigern sowohl Gesamtschuld- als auch Gesamthandsklage zur Verfügung. Nach der Teilung geht diese Privilegierung angesichts der eingetretenen Vermögensvermischung verloren. Dem Miterben stehen aber Mittel zur Verfügung, um seine Haftung auf eine seinem Erbteil entsprechende Quote zu begrenzen.