1. Zweck und Voraussetzungen
Rz. 20
Eine Nachlasspflegschaft wird vom Nachlassgericht angeordnet, wenn die Erben unbekannt sind, die Erbenermittlung voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen wird und der Nachlass der Sicherung und eines Verwalters bedarf. Die Anordnung der Nachlasspflegschaft darf nicht von der Durchführung umfangreicher und zeitraubender Ermittlungen des Gerichts abhängig gemacht werden, da es sich bei der Nachlasspflegschaft um eine vorläufige Sicherungsmaßnahme handelt. Die Anordnung der Nachlasspflegschaft erfolgt durch Beschluss und erfordert stets eine einzelfallbezogene Darlegung der gesetzlichen Voraussetzungen. Eine floskelhafte Begründung unter Heranziehung von Textbausteinen genügt nicht.
Rz. 21
Checkliste: Voraussetzungen für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft
▪ |
Erbsituation ungeklärt, z.B. weil
▪ |
das Erbe noch nicht angenommen wurde |
▪ |
die Erbausschlagung nicht sicher ist |
▪ |
keine gesetzlichen Erben aufzufinden sind |
▪ |
testamentarische Erben nicht aufzufinden bzw. zu identifizieren sind |
▪ |
dem Nachlassgericht ein wohlbegründeter Antrag auf Einziehung des Erbscheins vorliegt |
▪ |
der Erbe noch nicht geboren wurde (§ 1923 Abs. 2 BGB) |
▪ |
konkrete Zweifel an der Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung bestehen |
▪ |
unterschiedliche Testamente vorliegen |
▪ |
Erbprätendenten einen Streit um die Erbenstellung führen. |
|
▪ |
Sicherungsbedürfnis des Nachlasses kann vorliegen, z.B. wenn
▪ |
eine zu erwartende länger andauernde Erbenermittlung den Nachlass herrenlos machen würde |
▪ |
eine fällige Forderung gegen den Nachlass besteht |
▪ |
eine Gefährdung des Nachlassvermögens zu befürchten ist (Einbruchsgefahr/fortlaufende Kosten aus Mietverhältnis etc.). |
|
▪ |
Erfordernis einer Verwalterbestellung ist gegeben, wenn das Sicherungsbedürfnis des Nachlasses nicht durch Anordnung anderer Maßnahmen zur Nachlasssicherung erreicht werden kann. |
2. Zuständigkeit
a) Sachliche Zuständigkeit
Rz. 22
Die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts ist seit der Einbeziehung der FamFG-Verfahren in den Geltungsbereich des GVG in § 23a Abs. 2 Nr. 2 GVG zentral geregelt. Die Nachlasspflegschaft zählt zu den betreuungsgerichtlichen Zuweisungssachen im Sinne von § 340 Nr. 1 FamFG. Die sachliche Zuständigkeit des Nachlassgerichts (anstelle des Betreuungsgerichts) ergibt sich aus § 1962 BGB. Soweit nach landesrechtlichen Bestimmungen für die Aufgaben des Betreuungsgerichts oder des Nachlassgerichts andere Stellen als Gerichte zuständig sind, ist dies vorrangig. Funktionell zuständig ist der Rechtspfleger gem. §§ 3 Nr. 2 Buchst. c, 16 Abs. 1 Nr. 1 RPflG.
b) Örtliche Zuständigkeit
Rz. 23
Die örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichts bestimmt sich nach §§ 343 f. FamFG.
Bei Sterbefällen bis zum 16.8.2015 richtete sich nach damaliger Rechtslage die örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichts nach dem Wohnsitz des Erblassers.
Unter Beachtung der EU-ErbVO richtet sich die örtliche Zuständigkeit für Sterbefälle ab dem 17.8.2015 nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers. Dementsprechend ist gemäß § 343 Abs. 1 FamFG das Nachlassgericht zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Es ist somit nicht das Nachlassgericht zuständig in dessen Bereich der Erblasser verstarb. In der Praxis erweist sich die Feststellung des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes oft als problematisch. In der EuErbVO findet sich keinerlei Definition des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Verstorbenen, weder in Art. 21 noch in Art. 4. Die Erwägungsgründe 23 und 24 geben Auslegungshilfen. Der letzte gewöhnliche Aufenthalt ist vertragsautonom zu bestimmen, auch im Rahmen des § 343 Abs. 1 FamFG.
Rz. 24
Hatte der Erblasser zur Zeit des Erbfalls keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, ist gem. § 343 Abs. 2 FamFG das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte.
Rz. 25
Ist eine Zuständigkeit nach den Absätzen 1 und 2 nicht gegeben, ist das Amtsgericht Schöneberg in Berlin zuständig, wenn der Erblasser Deutscher ist oder sich Nachlassgegenstände im Inland befinden. Das Amtsgericht Schöneberg in Berlin kann die Sache aus wichtigem Grund an ein anderes Nachlassgericht verweisen. Die Abgabeverfügung ist für dieses Gericht bindend.
Neben dem Nachlassgericht des letzten gewöhnlichen Aufenthaltsortes kann für eine Maßnahme der Nachlasssicherung auch ein weiteres Amtsgericht zuständig sein, wenn sich in seinem Bezirk ein zu sichernder Nachlassgegenstand befindet. Gemäß § 344 Abs. 4 FamFG ist jedes Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis für die Sicherung besteht; auch soll das Amtsgericht, das Sicherungsmaßnahmen trifft, gem. § 356 ...