A. Rechtliche Grundlagen
I. Einführung
Rz. 1
Mit dem Tod eines Menschen wird sein Vermögen fürsorgebedürftig. Das BGB geht von dem Grundsatz aus, dass die Abwicklung des Erbfalls Sache der Beteiligten und ein Tätigwerden des Nachlassgerichts nur in besonderen Fällen erforderlich ist. Eine generelle Pflicht des Nachlassgerichts zum Tätigwerden anlässlich eines Erbfalls besteht nicht. Dies ist ein Ausdruck der Privatautonomie und der Subsidiarität staatlichen Handelns in privaten Angelegenheiten seiner Bürger. Obwohl unter Laien zuweilen eine andere Vorstellung herrscht, wäre es mit dem geltenden Recht unvereinbar, wenn in jedem Erbfall der Nachlass zunächst unter Verwaltung gestellt würde. Anlass zum Handeln besteht indes, wenn durch einen "herrenlosen" Nachlass Vermögensinteressen von Erben und Nachlassgläubigern beeinträchtigt werden.
Rz. 2
Gerade in Zeiten, in welchen Familienbande lockerer werden und Angehörige weit entfernt voneinander leben, kann es vorkommen, dass die Erbfolge noch nicht feststeht und es an einer Vertrauensperson fehlt, die den Nachlass für die noch zu ermittelnden Erben verwaltet. Das Nachlassgericht nimmt dann rechtspolizeiliche Aufgaben wahr. Zur Gefahrenabwehr können folgende Sicherungsmittel angeordnet werden:
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Die Nachlasssicherung gem. § 1960 Abs. 1 BGB beinhaltet Maßnahmen zur Sicherung einzelner Nachlassgegenstände. |
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Die Nachlasspflegschaft gem. § 1960 Abs. 2 BGB beinhaltet die Bestellung einer Person als Pfleger, der den Nachlass für den oder die noch unbekannten Erben verwaltet. |
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Die Nachlassverwaltung gem. § 1975 BGB beinhaltet als Sonderform der Nachlasspflegschaft die Bestellung eines Pflegers, um Nachlassgläubiger zu befriedigen. |
Rz. 3
Regelmäßig wird dem Nachlassgericht der Tod einer Person durch Anzeige des Standesbeamten bekannt. Da die Mitteilung des Standesamts an das Nachlassgericht im Rahmen eines verwaltungsmäßigen Verfahrens erfolgt, vergehen zumindest mehrere Tage zwischen dem Tod einer Person und dem Bekanntwerden beim Nachlassgericht; daran hat auch die Einführung des Zentralen Testamentsregisters nichts geändert. Schon aus diesem Grund darf sich der beratende Rechtsanwalt keinesfalls auf eine rechtzeitige Sicherung von Amts wegen verlassen und hat im Mandanteninteresse schnell zu reagieren, um Veränderungen am Nachlassbestand zu verhindern sowie eventuell vorhandene letztwillige Verfügungen sicherzustellen.
II. Nachlasssicherung
1. Allgemeines zur Nachlasssicherung
Rz. 4
Die Nachlasssicherung ist im Unterschied zur Nachlasspflegschaft die mildeste Form nachlassgerichtlichen Handelns. Sie ist immer dann angezeigt, wenn nur einzelne Nachlassgegenstände gefährdet sind. In Einzelfällen kann es ausreichend sein, die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses anzuordnen, wenn die Zusammensetzung des Nachlasses ungeklärt ist.
Rz. 5
Die Voraussetzungen und die Zuständigkeit sind (bis auf das Erfordernis der Pflegerbestellung) mit denen der Nachlasspflegschaft identisch (vgl. Rdn 15).
Rz. 6
Der beratende Rechtsanwalt wird vor Antragstellung immer abwägen müssen, ob die Nachlasssicherung oder eine Nachlasspflegschaft vorzugswürdig ist. Die Nachlasspflegschaft hat den Vorteil der umfassenden Sorge für den Nachlass, die allerdings entsprechende Kosten nach sich zieht. Vertritt man einen Nachlassgläubiger, spielt Letzteres sicher keine Rolle, wenn der Nachlass werthaltig ist. Die Nachlasssicherung – die auch hilfsweise beantragt werden kann – wird stets dem kostenbewussten Erben bzw. Erbprätendenten anzuraten sein. Wird z.B. nur ein Hausmeister für das Haus bestellt, kann der Erbe gleichwohl weiter mit einer Bankvollmacht arbeiten, was im Falle der Nachlasspflegschaft ausgeschlossen wäre, da der Nachlasspfleger Vollmachten grundsätzlich widerrufen wird.
Rz. 7
Da es sich um eine Ermessensentscheidung des Nachlassgerichts handelt, kann es ratsam sein, vorab das Gespräch mit dem zuständigen Rechtspfleger zu suchen. Gerade bei eilbedürftigen Maßnahmen sollte der Antrag zusätzlich angekündigt werden, damit er nicht auf dem Dienstweg untergeht. Je nach Dringlichkeit ist auch die Zustellung per beA mit "EILT!"-Vermerk angezeigt.
Rz. 8
Aus der Formulierung des § 1960 Abs. 2 BGB ("insbesondere") ergibt sich, dass die dort angeführten Sicherungsmittel nicht abschließend sind. Je nach Fallgestaltung können unterschiedliche Maßnahmen getroffen werden. Es kommen auch Sicherungsmittel wie Vormerkungen, Postsperre, Bestellung eines Hauswächters, Anordnung des Verkaufs verderblicher Sachen etc. in Betracht. Des Weiteren kann das Nachlassgericht nicht nur unbeteiligte Dritte, sondern auch Erbprätendenten zu Auskünften mit eidesstattlicher Versicherung anhalten. Der Phantasie und Kreativität des Rechtsanwalts sind nahezu keine Grenzen gesetzt. Für den Erben ist die Anordnung der Nachlasspflegschaft die "teuerste" Sicherung, so dass der Rechtsanwalt als Erbenvertreter sowohl bei ...