Vicki Irene Commer, Andre Naumann
Rz. 154
Mit den im vorhergehenden Abschnitt dargestellten Rechnungsgrundlagen sind alle für die Berechnung der Prämie erforderlichen Kalkulationsfaktoren beschrieben.
Mithilfe der von der Versicherungsmathematik zur Verfügung gestellten Formelwerke werden die Prämienbestandteile bestimmt. Grundsätzlich kann der Versicherer sich aller zur Verfügung stehenden versicherungsmathematischen Varianten dieser Formeln bedienen, um eine nach seiner Ansicht angemessene Prämie zu kalkulieren. Dies entspricht dem Prinzip der zivilrechtlichen Vertragsfreiheit, nach dem jeder Anbieter von Leistungen grundsätzlich den Preis für seine Ware festlegen kann. Wegen der großen volkswirtschaftlichen Bedeutung der Lebensversicherung als Instrument für die Altersvorsorge hat der Gesetzgeber besondere Regeln für die Kalkulation der Prämienbestandteile aufgestellt. Die Kalkulation nach diesen mathematischen Grundsätzen hat in aufsichtsrechtlichen Vorschriften ihren Niederschlag gefunden. Diese Grundsätze finden mit produktbezogenen Ausnahmen auch in der fondsgebundenen Lebensversicherung Anwendung. Deshalb kann der Versicherer die Prämie nur innerhalb festgelegter Grenzen bestimmen.
a) Allgemeine Prinzipien
Rz. 155
Der grundsätzlichen Freiheit der Preiskalkulation des Kaufmanns sind in der Lebensversicherung durch verschiedene Prinzipien des Aufsichtsrechts Grenzen gesetzt. Die Berücksichtigung dieser Prinzipien hat in unterschiedlicher Weise Einfluss auf die Kalkulation der einzelnen Bestandteile der Prämie, namentlich den Risikobeitrag, den Kostenbeitrag und den Sparbeitrag.
Für alle Prämienbestandteile gilt, dass ein Verdrängungswettbewerb durch das Angebot besonders niedriger Prämien ausgeschlossen ist. Der Versicherer hat gemäß § 138 Abs. 1 S. 1 VAG unter Zugrundelegung angemessener versicherungsmathematischer Annahmen eine Prämienhöhe sicherzustellen, die gewährleistet, dass er all seinen Verpflichtungen nachkommen und insbesondere ausreichende Rückstellungen bilden kann (Prinzip der Auskömmlichkeit). Diese Rückstellungen müssen ausschließlich aus Prämienzahlungen stammen; eine planmäßige und auf Dauer angesetzte Verwendung von Mitteln, die nicht aus Prämienzahlungen stammen, ist gemäß § 138 Abs. 1 S. 2 VAG unzulässig. Damit ist eine Mindesthöhe der Prämie festgelegt, deren Unterschreitung einen Missstand nach § 298 Abs. 1 S. 2 VAG darstellt.
b) Äquivalenzprinzip
Rz. 156
Nach dem Äquivalenzprinzip müssen sich die rechnungsmäßigen Leistungen und Gegenleistungen der Vertragsparteien in einem angemessenen Verhältnis gegenüberstehen.
Wann Äquivalenz gegeben ist, bestimmt sich nach versicherungsmathematischen Grundsätzen. Nach diesen Grundsätzen ist die Gleichwertigkeit gewahrt, wenn sich der Barwert der vereinbarten Leistung und der Barwert der Prämie gleichwertig gegenüberstehen. Nicht verlangt wird, dass in jedem Einzelfall die Leistung des Versicherungsnehmers (die Prämie) und die Leistung des Versicherers (Entschädigung) identisch sind. Deshalb steht der Fall, in dem aufgrund des Todes einer versicherten Person kurz nach der Zahlung der ersten Prämie die volle vertragliche Leistung fällig wird, nicht im Widerspruch zum Äquivalenzprinzip. Ebenso wenig widerspricht es dem Äquivalenzprinzip, wenn ein Versicherungsvertrag (Risikolebensversicherung) ohne Leistung ausläuft. In beiden Fällen entspricht der Barwert der rechnungsmäßigen Leistungen des Versicherers dem Barwert der Leistung des Versicherungsnehmers. Jede nicht kalkulierte Veränderung der Leistungsvoraussetzungen greift in das durch das Äquivalenzprinzip geschaffene Gleichgewicht ein.
c) Gleichbehandlungsgebot nach § 138 Abs. 2 VAG
Rz. 157
Vom Äquivalenzprinzip ist das Gleichbehandlungsgebot nach § 138 Abs. 2 VAG zu unterscheiden. Danach müssen in der Lebensversicherung bei gleichen Voraussetzungen Prämien und Leistungen nach gleichen Grundsätzen bemessen werden. Damit wird der Grundsatz aufgestellt, dass für alle Versicherungsnehmer einer Risikogemeinschaft unter gleichen Voraussetzungen gleiche Prämien berechnet werden müssen. Es soll verhindert werden, dass einzelne Versicherungsnehmer zu Lasten anderer Versicherungsnehmer benachteiligt oder bevorzugt werden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger aus der Natur ergebender oder sonst einleuchtender Grund für die Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. Dabei schließt das Gleichbehandlungsgebot allerdings eine individuelle Einzelfalllösung zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer im Hinblick auf die Abwicklung eines Vertrages nicht aus.
Auf dem Gleichbehandlungsgebot beruht auch das Verbot von Sondervergütungen an Versicherungsnehmer (§ 48b VAG), worunter auch die vollständige oder teilweise Provisionsabgabe an Versicherungsnehmer fällt (§ 48b Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VAG). Ausnahmen hiervon sehen § 48b Abs. 3 und Abs. 4 VAG vor.