Vicki Irene Commer, Andre Naumann
1. Rechtsgrundlage
a) Gesetzliche Regelungen
Rz. 595
Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist entscheidend durch die ihr zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen und die Rechtsprechung bestimmt. Das liegt unter anderem daran, dass bis zur VVG Reform 2008 eine eigene gesetzliche Regelung der Berufsunfähigkeitsversicherung fehlte. Inhalt und Ausgestaltung ergaben sich ausschließlich aus den Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Seit Inkrafttreten des reformierten VVG ist dies anders. Mit Kapitel 6 des VVG wurde ein eigener, spezieller Bereich für die Berufsunfähigkeitsversicherung geschaffen, §§ 172–177 VVG. Ergänzende gesetzliche Vorschriften finden sich im VVG, in den §§ 1–73 VVG (allgemeinen Teil) und §§ 209–216 VVG (Schlussvorschriften). Vor der Neuregelung des VVG wurden die Regelungen zur Lebensversicherung analog herangezogen. Wegen der vergleichbaren Interessenlage bleiben auch die Vorschriften zur Lebensversicherung (§§ 150–170 VVG) anwendbar, soweit Besonderheiten der Berufsunfähigkeitsversicherung dem nicht entgegenstehen, § 176 VVG. Anwendbar sind z.B. § 150 VVG (Abschluss des Vertrags auf die Berufsunfähigkeit einer anderen Person als des Versicherungsnehmers), § 152 VVG (Widerrufsfrist und Zahlung der Erstprämie), § 157 VVG (unrichtige Altersangabe), § 158 VVG (Gefahränderung) und § 159 VVG (Bezugsrecht).
Für die Berufsunfähigkeitsversicherung finden nach Art. 3 Abs. 3 EGVVG die §§ 172, 174–177 VVG auf Berufsunfähigkeitsversicherungen in Altverträgen grundsätzlich keine Anwendung. Altverträge sind nach Art. 1 Abs. 1 EGVVG alle Versicherungsverhältnisse, die bis zum 1.1.2008 entstanden sind. Maßgebend ist der formelle Versicherungsbeginn. Zu beachten bleibt aber, dass für Versicherungsfälle aus Altverträgen, die bis zum 31.12.2008 eingetreten sind, nach Art. 1 Abs. 2 EGVVG das bisherige Recht bis zur endgültigen Beendigung dieses Versicherungsfalls gilt. Sie werden insgesamt nach altem Recht abgewickelt.
b) Vertragliche Regelungen
Rz. 596
Für die Berufsunfähigkeit gibt es keine Legaldefinition. Genaue Regelungen finden sich im vereinbarten Bedingungswerk. Dort sind auch die Vereinbarungen zu finden, ab welchem Grad der Beeinträchtigung eine Leistung fällig wird, ob und unter welchen Voraussetzungen eine andere Tätigkeit durch den Versicherten bei der Leistung zu berücksichtigen sind und ob (ausnahmsweise) nur eine befristete Rente vereinbart ist. Die Vielzahl der unterschiedlichen Regelungen lässt sich nicht fassen, wesentliche Grundzüge sind aber vergleichbar. Die aktuellen, unverbindlichen Musterbedingungen zur Berufsunfähigkeitsversicherung des GdV (Muster-BU, derzeit Stand 15.11.2022) und Musterbedingungen zur Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Muster BU-Z, derzeit Stand 15.11.2022) sind im Internet abrufbar.
Rz. 597
Hinweis
Die Verträge zur Berufsunfähigkeit laufen in der Regel über viele Jahre. Es ist unerlässlich, das konkret vereinbarte Bedingungswerk und den Versicherungsschein genau zu prüfen. In manchen Fällen sind auch der Antrag, die Produkt- oder Vertragsinformationen (ggf. ein Produktinformationsblatt) und Vertragsänderungen (Nachträge zum Versicherungsschein) zu prüfen.
2. Gegenstand der Berufsunfähigkeitsversicherung
a) Einordnung der Berufsunfähigkeitsversicherung
Rz. 598
Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist eine Personenversicherung, die mit der die wirtschaftlichen Risiken des Versicherten abgedeckt werden, welche durch eine Berufsunfähigkeit infolge gesundheitlicher Beeinträchtigungen entstehen. Bezugspunkt ist nicht der Verlust des individuellen bisherigen Berufs oder des innegehabten Arbeitsplatzes, sondern die gesundheitsbedingte Einbuße der Fähigkeit, dauerhaft durch eigene Erwerbstätigkeit den bislang erreichten sozialen Status zu wahren.
Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist regelmäßig als Summenversicherung ausgestaltet, d.h. es wird nach dem Prinzip der abstrakten Bedarfsdeckung die vertraglich vereinbarte Leistung unabhängig davon erbracht, ob durch den Versicherungsfall tatsächlich ein wirtschaftlicher Nachteil (in der Höhe) eingetreten ist. Es kommt also auch nicht auf das bislang erzielte Einkommen an.
b) Allgemeiner Versicherungsrahmen
Rz. 599
Die Berufsunfähigkeitsversicherung wird seit vielen Jahrzehnten als fester Bestandteil der Versicherungslandschaft in zwei unterschiedlichen Formen angeboten. Zum einen als selbstständige Versicherung, mit der eine Rentenzahlung vereinbart wird. Hier ist der Vertrag selbstständig und losgelöst von anderen Verträgen zu betrachten.
Zum anderen wird die Berufsunfähigkeitsversicherung als Zusatz-Versicherung für einen anderen Versicherungsvertrag angeboten, mit der regelmäßig die Beitragsbefreiung für den jeweiligen Hauptvertrag vereinbart wird, so z.B. häufig bei Kapital-Lebensversicherungen zu finden. Hier ist der Bestand der Berufsunfähigkeitsabsicherung an den Bestand des Hauptvertrags gekoppelt.
c) Versichertes Ereignis (Leistungsfall)
Rz....