Rz. 9
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren zunächst die Punkteberechnung der Behörde angegriffen. Das Gericht hat zugestanden, dass die der Entziehungsentscheidung zugrunde liegende Punkteberechnung fehlerhaft war, weil die vor der Zustellung der Verwarnung begangene weitere Zuwiderhandlung nach dem 1.5.2014 (Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften bewertet mit zwei Punkten und rechtskräftig seit 14.10.2014) nicht zu einer Erhöhung des Punktestands auf neun Punkte geführt hat. Es führt dann aus, dass nach der damaligen Rechtslage, nach dem Rechtsgedanken des § 4 Abs. 6 S. 3 StVG a.F., die Punktereduzierung auch auf diese Zuwiderhandlung zu erstrecken war, also 7 Punkte bestünden. Es hat Folgendes ausgeführt:
Zitat
"Vorliegend ist § 4 StVG in der ab dem 1.5.2014 anwendbaren Fassung vom 28.8.2013 (BGBl I S. 3313) anwendbar, da auf den Zeitpunkt des Ergehens der Entziehungsverfügung vom ... abzustellen ist. Die letzte Änderungsfassung des § 4 StVG vom 28.11.2014 (BGBl I S. 1802) ist nicht anwendbar. Die gerichtliche Prüfung fahrerlaubnisrechtlicher Entziehungsverfügungen ist nämlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung der handelnden Verwaltungsbehörde auszurichten."
[...]
In Ermangelung eines Widerspruchsverfahrens ist dies der Zeitpunkt des Erlasses der streitbefangenen Ordnungsverfügung.“ (Hervorhebung durch die Autorin)
Achtung
Dieser Zeitpunkt kann sich in Bundesländern, in denen das Widerspruchsverfahren dem Klageverfahren aber vorgeschaltet ist, auf den Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides verschieben.
Es heißt dann weiter:
Zitat
"Für die Beantwortung der Frage, wann sich acht Punkte im Sinne von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG ergeben, kommt es auf den Tag der Begehung der letzten zum Erreichen dieser Punkteschwelle führenden Tat an. Dies ist Ausdruck des nunmehr gesetzlich fixierten Tattagprinzips. Punkte ergeben sich mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG)."
Einem Fahrerlaubnisinhaber, zu dessen Lasten sich im Verkehrszentralregister acht (oder mehr) Punkte ergeben haben, ist die Fahrerlaubnis daher unabhängig von später – vor oder nach Erlass der Entziehungsverfügung – eintretenden Punktetilgungen zu entziehen (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG).
Das Tattagprinzip ist auch bei Anwendung der Bonusregelung des § 4 Abs. 6 StVG zugrundezulegen. Das dort und in Absatz 5 verankerte Maßnahmensystem der Ermahnung bei Erreichen von vier oder fünf Punkten, der Verwarnung bei Erreichen von sechs oder sieben Punkten und der Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erreichen von acht oder mehr Punkten (vgl. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG) sieht vor, dass die Maßnahmen zwei und drei erst dann ergriffen werden dürfen, wenn die jeweils davor liegende Maßnahme bereits zuvor ergriffen worden ist (§ 4 Abs. 6 Satz 1 StVG). Falls die Fahrerlaubnisbehörde sich nicht an diese Schrittfolge hält, verringert sich, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis sechs oder acht Punkte erreicht oder überschreitet, der Punktestand auf fünf Punkte (Satz 2); wenn der Betroffene acht Punkte erreicht oder überschreitet, ohne dass die Maßnahme der Verwarnung ergriffen worden ist, verringert sich der Punktestand auf sieben Punkte (Satz 3). Entsprechend dem Gedanken des Tattagprinzips kommt es bei Anwendung der Regelungen über die Reduzierung von Punkten darauf an, ob die Zuwiderhandlungen zeitlich vor der Ermahnung oder Verwarnung liegen und ob die begangene Straftat oder Ordnungswidrigkeit rechtskräftig geahndetworden ist. Anderenfalls wäre die Anwendung der "Bonusregelung" davon abhängig, ob die Fahrerlaubnisbehörde von den Verstößen bereits Kenntnis erlangt hat oder den bereits bekannten Verstoß in die Punkteaufstellung eingestellt hat. Die Auswirkung von solchen Zufällen widerspräche möglicherweise einer berechenbaren Anwendung des Gesetzes und damit den rechtsstaatlichen Vorgaben des Art. 20 Abs. 3 GG zur Rechtssicherheit. Denn die hier in Rede stehende Verlässlichkeit ist ein wesentliches Element der Rechtsordnung. Dahinter verbirgt sich die rechtsstaatliche Forderung, dass staatliche Hoheitsakte einerseits so klar und bestimmt und andererseits so beständig sein sollen, dass sich der Bürger auf sie hinreichend verlassen kann. Ohne ein Mindestmaß an solcher Verlässlichkeit bleibt das Handeln des Staates für den Bürger unvorhersehbar und damit sowohl unberechenbar als auch unverständlich.
[...]
Die staatliche Gewalt erschiene zudem im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG als willkürlich, weil die Gefahr des Ergehens von Entscheidungen bestünde, die sich auf unsachlichen und beliebigen Erwägungen gründeten.
Soweit die Gesetzesmaterialien zur der Änderungsfassung des § 4 StVG vom 28.11.2014 auf eine KlarsteIlung zur Punkteberechnung hinweisen, dass das Tattagprinzip für das Ergreifen von Maßnahmen keine Bedeutung habe (BT-Drucks 18/2775, S. 10), lässt sich § 4 Abs. 6 StVG in der hi...