Rz. 3

Die Rechtsprechung[1] ist – um es kurz zu machen – mit der gesetzgeberischen Lösung offenkundig nicht zufrieden: Denn der Gesetzestext – unabhängig ob in der Fassung zum 1.5. 2014 oder zum 5.12.2014 – ermöglicht unterschiedliche Auslegungen. Das Tattagprinzip hat nicht für Klarheit, sondern für Verwirrung gesorgt: Wann kann bzw. muss es angewendet werden; gilt es auch für Punkteabbau und gesetzlich vorgesehene Reduktion wegen nicht durchlaufener Maßnahme? Auch die Überführung, die jedenfalls bis 2019 andauern wird, weil die alten Regelungen noch fortgelten, hat keine leichte Anwendung mit sich gebracht. Die Behördenmitarbeiter sehen sich vor rechnerisch komplizierte Fragen gestellt, die auch nicht jedes Obergericht richtig löst.[2] Der Rechtsanwalt muss sich daher mit höchster Konzentration der Überprüfung widmen und sollte dies später bei der Bemessung der Gebühren nach § 14 RVG auch nicht vergessen entsprechend zu würdigen.

[1] Eine hervorragende und aktuelle Übersicht hierzu findet sich auf der Webseite von Kalus, www.fahrerlaubnisrecht.de.
[2] Kalus mit seinem Formblatt zur Punkteberechnung, vgl. folgend unter Rdn 7.

1. VGH Baden-Württemberg vom 3.6.2014 – 10 S 744/14, zfs 2014, 534, Überleitungsgrundsätze

 

Rz. 4

Der VGH Baden-Württemberg hat schon schnell nach Inkrafttreten der Regelungen zum 1.5.2014 hierzu in seinem Beschluss die praktische Anwendung der Überleitung dargestellt wie folgt:

Zitat

"Nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG n.F. werden Personen, zu denen bis zum Ablauf des 30.4.2014 Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 StVG a.F. im Verkehrszentralregister eingetragen sind, in das Fahreignungs-Bewertungssystem nach der dort genannten Tabelle eingeordnet. Alle Eintragungen des Antragstellers in das Verkehrszentralregister betrafen Verkehrsordnungswidrigkeiten i.S.d. § 24 StVG und wurden mit Geldbußen von mindestens 40 EUR geahndet; sie waren daher nach § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG a.F. im Verkehrszentralregister einzutragen. Nach der genannten Umrechnungstabelle wird ein vor dem 1.5.2014 erreichter Punktestand von 18 Punkten und mehr nunmehr mit 8 Punkten bewertet, was nach neuer Rechtslage die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge hat (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG n.F.). […]"

Auch eine Löschung oder Tilgung der Eintragungen dürfte aufgrund der neuen Rechtslage nicht erfolgen. Die Regelung des § 65 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 StVG n.F. kommt dem Antragsteller nicht zugute, weil die nach altem Recht eingetragenen Entscheidungen auch nach neuer Rechtslage im Fahreignungsregister zu speichern sind. Nach § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG n.F. werden rechtskräftige Entscheidungen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG gespeichert, soweit sie in der Rechtsverordnung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. s StVG bezeichnet sind und gegen den Betroffenen eine Regelgeldbuße von mindestens 60 EUR festgesetzt worden ist. Die zahlreichen seit dem Jahr 2009 eingetragenen Ordnungswidrigkeiten des Antragstellers betrafen – mit Ausnahme einer Zuwiderhandlung gegen das Gebot der Einhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstands – sämtlich Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit; die Taten wurden mit Geldbußen zwischen 80 und 320 EUR geahndet. In der auf § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. s StVG gestützten Regelung des § 40 FeV n.F. in Verbindung mit Anlage 13 n.F. werden Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit als speicherungspflichtig bezeichnet und mit zwei Punkten bewertet (vgl. Nr. 2.2.3 der Anlage 13). Entsprechendes gilt nach Nr. 2.2.4 der Anlage 13 n.F. für die Unterschreitung des erforderlichen Abstands zum vorausfahrenden Fahrzeug.“

2. VGH Baden-Württemberg vom 2.9.2014 – 10 S 1302/14, NJW 2015, 186, Tattagprinzip

 

Rz. 5

Zum Sachverhalt in der – vorläufigen – Entscheidung des VGH ist festzuhalten, dass die auf § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG in der bis zum 30.4.2014 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis vor dem 30.4.2014 nach der im Zeitpunkt ihres Erlasses geltenden Rechtslage rechtmäßig war. Der Betroffene hatte bereits 2012 als Führer eines Pkw eine fahrlässige Körperverletzung begangen, die mit fünf Punkten eingetragen war, und hatte damit 18 oder mehr Punkte im Verkehrszentralregister erreicht. Die strafrechtliche Entscheidung vom 20.2.2013 wurde am 20.3.2014 rechtskräftig und am 7.4.2014 in das Verkehrszentralregister eingetragen. Sämtliche Schritte waren bis dahin nach altem Recht zu bemessen.

Die Behörde stellte sich auf den Standpunkt, dass es auf die neuen Rechtsvorschriften zum 1.5.2014 – weil der letzte Verkehrsverstoß schon vor der Rechtsänderung in das Verkehrszentralregister eingetragen und die Fahrerlaubnis zuvor bereits entzogen worden war – nicht mehr ankomme. Der entscheidende Zeitpunkt für die Entscheidung der Behörde ist aber nach materiellem Recht zu bestimmen. Dies ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Ist diese während eines – nicht mehr in allen Bundesländern vorgeschriebenen – Widerspruchsverfahrens ergangen, ist dies der Zeitpunkt des erlassenen Widerspruchsbescheides – im hier entschiedenen Fall nach Inkrafttreten der neuen Regelungen. Dies führt dann dazu, dass bei gleichem Sachverhalt tatsächlich unterschiedli...

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