A. Berechnungsbeispiele

I. Schaffung des Problembewusstseins

 

Rz. 1

Hinsichtlich der Berechnung von Punkteverstößen gibt es durch die Reform noch einige Unklarheiten. Viele Aspekte sind m.E. bei der Umsetzung der "Fahreignungsreform" vom Gesetzgeber nicht berücksichtigt worden und werfen in der Praxis Fragen auf, die es noch zu klären gilt. Das Ziel des Gesetzgebers, bei den Punkteverstößen eine bessere Übersicht zu erzielen, ist leider nicht gelungen. Obgleich größte Sorgfalt auf die Berechnungsbeispiele verwendet wurde, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass ggf. eine andere Interpretation der Neuregelungen möglich, die vorliegende eventuell fehlerhaft ist – es wird insoweit keine Haftung übernommen.

 

Rz. 2

Die Überlegung, die jeweiligen Punktestände zu überprüfen, wobei hier das Überführungspotential zugrunde zu legen ist, ist zudem unter einen weiteren Vorbehalt zu stellen: Denn selbst wenn der Mandant einen Auszug aus dem Verkehrszentralregister (VZR) bzw. später Fahreignungsregister (FaER) vorlegt, ist darauf zu achten, dass jedenfalls von dort keine verbindliche Auskunft erteilt wird. Im Zweifel ist daher, müssen Maßnahmen der Behörden überprüft werden, auf jeden Fall Akteneinsicht zu beantragen. Zukünftig sollten die Mandanten auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie zur eigenen Übersicht Bußgeldbescheide, Urteile und Bescheide der Behörden sorgsam mitsamt den Zustelldaten aufbewahren.

II. Rechtsprechung

 

Rz. 3

Die Rechtsprechung[1] ist – um es kurz zu machen – mit der gesetzgeberischen Lösung offenkundig nicht zufrieden: Denn der Gesetzestext – unabhängig ob in der Fassung zum 1.5. 2014 oder zum 5.12.2014 – ermöglicht unterschiedliche Auslegungen. Das Tattagprinzip hat nicht für Klarheit, sondern für Verwirrung gesorgt: Wann kann bzw. muss es angewendet werden; gilt es auch für Punkteabbau und gesetzlich vorgesehene Reduktion wegen nicht durchlaufener Maßnahme? Auch die Überführung, die jedenfalls bis 2019 andauern wird, weil die alten Regelungen noch fortgelten, hat keine leichte Anwendung mit sich gebracht. Die Behördenmitarbeiter sehen sich vor rechnerisch komplizierte Fragen gestellt, die auch nicht jedes Obergericht richtig löst.[2] Der Rechtsanwalt muss sich daher mit höchster Konzentration der Überprüfung widmen und sollte dies später bei der Bemessung der Gebühren nach § 14 RVG auch nicht vergessen entsprechend zu würdigen.

[1] Eine hervorragende und aktuelle Übersicht hierzu findet sich auf der Webseite von Kalus, www.fahrerlaubnisrecht.de.
[2] Kalus mit seinem Formblatt zur Punkteberechnung, vgl. folgend unter Rdn 7.

1. VGH Baden-Württemberg vom 3.6.2014 – 10 S 744/14, zfs 2014, 534, Überleitungsgrundsätze

 

Rz. 4

Der VGH Baden-Württemberg hat schon schnell nach Inkrafttreten der Regelungen zum 1.5.2014 hierzu in seinem Beschluss die praktische Anwendung der Überleitung dargestellt wie folgt:

Zitat

"Nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 StVG n.F. werden Personen, zu denen bis zum Ablauf des 30.4.2014 Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 StVG a.F. im Verkehrszentralregister eingetragen sind, in das Fahreignungs-Bewertungssystem nach der dort genannten Tabelle eingeordnet. Alle Eintragungen des Antragstellers in das Verkehrszentralregister betrafen Verkehrsordnungswidrigkeiten i.S.d. § 24 StVG und wurden mit Geldbußen von mindestens 40 EUR geahndet; sie waren daher nach § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG a.F. im Verkehrszentralregister einzutragen. Nach der genannten Umrechnungstabelle wird ein vor dem 1.5.2014 erreichter Punktestand von 18 Punkten und mehr nunmehr mit 8 Punkten bewertet, was nach neuer Rechtslage die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge hat (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG n.F.). […]"

Auch eine Löschung oder Tilgung der Eintragungen dürfte aufgrund der neuen Rechtslage nicht erfolgen. Die Regelung des § 65 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 StVG n.F. kommt dem Antragsteller nicht zugute, weil die nach altem Recht eingetragenen Entscheidungen auch nach neuer Rechtslage im Fahreignungsregister zu speichern sind. Nach § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG n.F. werden rechtskräftige Entscheidungen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG gespeichert, soweit sie in der Rechtsverordnung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. s StVG bezeichnet sind und gegen den Betroffenen eine Regelgeldbuße von mindestens 60 EUR festgesetzt worden ist. Die zahlreichen seit dem Jahr 2009 eingetragenen Ordnungswidrigkeiten des Antragstellers betrafen – mit Ausnahme einer Zuwiderhandlung gegen das Gebot der Einhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstands – sämtlich Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit; die Taten wurden mit Geldbußen zwischen 80 und 320 EUR geahndet. In der auf § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. s StVG gestützten Regelung des § 40 FeV n.F. in Verbindung mit Anlage 13 n.F. werden Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit als speicherungspflichtig bezeichnet und mit zwei Punkten bewertet (vgl. Nr. 2.2.3 der Anlage 13). Entsprechendes gilt nach Nr. 2.2.4 der Anlage 13 n.F. für die Unterschreitung des erforderlichen Abstands zum vorausfahrenden Fahrzeug.“

2. VGH Baden-Württemberg vom 2.9.2014 – 10 S 1302/14, NJW 2015, 186, Tattagprinzip

 

Rz. 5

Zum Sachverhalt in der – vorläufigen – Entscheidung des VGH ist festzuhalten, dass die auf § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG in der bis zum...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?