Rz. 1
Das Nachlassinsolvenzverfahren ist in den §§ 11 Abs. 2 Nr. 2, 315 ff. InsO, §§ 1975 ff. BGB geregelt. Grundsätzlich finden die Vorschriften des Regelinsolvenzverfahrens Anwendung, soweit nicht die §§ 315–331 InsO Sonderregelungen enthalten. Es handelt sich um ein Sonderinsolvenzverfahren, welches nur den Nachlass als abgegrenztes Sondervermögen und nicht das Eigenvermögen des Erben erfasst. Das Nachlassinsolvenzverfahren wird in der Insolvenzpraxis als Regelinsolvenzverfahren geführt, wenngleich es verfahrenstechnisch als Sonderinsolvenzverfahren gilt. Es trägt wie ein herkömmliches Unternehmensinsolvenzverfahren das Aktenzeichen "IN". Während es in der regulären Unternehmensinsolvenz, aber auch in der Verbraucherinsolvenz um die Sanierung, den Unternehmenserhalt, notfalls aber auch die Liquidierung – bei natürlichen Personen ergänzt um den Wunsch nach Erhalt der Restschuldbefreiung – geht, stellt sich die Zielsetzung im Nachlassinsolvenzverfahren anders dar.
Rz. 2
Verstirbt ein Schuldner und hinterlässt er "nichts als Schulden", stehen Gläubiger häufig vor großen Fragen. An wen sollen sie sich wenden? Was ist mit der Forderung? Ist diese mit dem Tod des Schuldners erloschen? § 1922 BGB regelt die sog. Universalsukzession, die Gesamtrechtsnachfolge im Falle eines Todesfalles. Mit dem Tod einer Person (dem sog. Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über (§ 1922 BGB). Der Begriff "Vermögen" ist dabei irreführend, denn die Universalsukzession umfasst nicht nur Aktiva, sondern auch Passiva. Unter dem Begriff "Vermögen" versteht das Gesetz folglich alle geldwerten Güter einer Person. Hierzu gehören die Sachen und Rechte, aber auch die "unfertigen", noch werdenden oder schwebenden Rechtsbeziehungen, bedingte und künftige Rechte, Rechts- und Bindungslagen oder andere vermögenswerte Positionen, wie der Goodwill, der Organisations- oder Geschäfts- oder Firmenwert sowie ganze Vertragsverhältnisse. Schulden gehen also genauso über wie Guthaben. Folglich können einen Erben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten treffen.
Rz. 3
Grundsätzlich haften Erben dabei erst einmal "unbeschränkt", wenn sie die Erbschaft angenommen haben. Der Erbfall als solcher führt zu einer Verbindung der Vermögensmassen des Erblassers und des Erben. Der Erbe haftet für alle Verbindlichkeiten, und zwar voll und mit eigenem Vermögen unbeschränkt. Hier setzt das Nachlassinsolvenzverfahren an, indem es in seiner Konzeption, anders als im herkömmlichen Insolvenzverfahren, keine primäre Sanierung, Liquidation oder Restschuldbefreiung zur Zielsetzung hat, sondern Hauptaugenmerk auf der Haftungsbeschränkung der Erben liegt.
I. Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten im Falle vermögensloser Erbmassen
Rz. 4
Evident für die Beantwortung der Frage, ob eine Haftungsbeschränkung denkbar ist, bleibt der Zeitfaktor. Demjenigen, der rechtzeitig agiert, bietet das Gesetz diverse Möglichkeiten.
1. Ausschlagung
Rz. 5
Erkennt der Erbe rechtzeitig – bspw. weil er sich unverzüglich rechtlichen Rat eingeholt hat – die drohende Gefahr einer Haftung, besteht die Möglichkeit der Erbausschlagung. Nach den Bestimmungen der §§ 1943 ff. BGB besteht nämlich für den Erben die Möglichkeit, die Erbschaft anzunehmen. Aktiv ist dabei zwar eine Äußerung möglich, tatsächlich fällt ihm die Erbschaft jedoch erstmal vorläufig "automatisch" an. Nach § 1942 Abs. 1 BGB gilt das Prinzip des Vonselbsterwerbs. Reagiert der Erbe daher nicht oder nicht rechtzeitig, droht ernsthafte Gefahr. Der Erbfall führt dann zu einer Verbindung der Vermögensmassen des Erblassers und des Erben. Der Erbe haftet dann für die Nachlassverbindlichkeiten, zu denen nicht nur die Erblasserschulden, also Verbindlichkeiten, die noch zu Lebzeiten des Erblassers entstanden sind, sondern auch die Verbindlichkeiten gehören, die erst mit dem Erbfall entstanden sind und mit ihm im Zusammenhang stehen. Der Erbe haftet für diese Verbindlichkeiten voll und mit eigenem Vermögen unbeschränkt.
Rz. 6
Diese Berufung von Gesetzes wegen ist dabei erst einmal nur vorläufig zu verstehen. Reagiert der Erbe rechtzeitig, kann er noch etwas "retten." So bietet das Gesetz dem Erben an, die Erbschaft innerhalb von sechs Wochen auszuschlagen und den Anfall damit rückgängig zu machen. Dann entgeht er grundsätzlich einer Haftung. Ebenso kann der Erbe innerhalb der Frist von sechs Wochen den Schwebezustand des "vorläufigen Erbfalls" vorzeitig beendigen, indem er die Erbschaft annimmt. Mit Ablauf der Ausschlagungsfrist wird spätestens die Annahme der Erbschaft fingiert, sofern zuvor keine Ausschlagung wirksam erklärt wurde.
2. Anfechtung
Rz. 7
Wurde die Erbschaft angenommen und stellt sich heraus, dass der Nachlass überschuldet ist, bleibt für den Erben noch...