Rz. 50

Die formelle Rechtskraft eines Beschlusses in einer Ehewohnungs-, Haushalts- und Gewaltschutzsache tritt nach § 45 Abs. 1 FamFG mit Ablauf der Rechtsmittelfrist oder der Frist für die weiteren möglichen Rechtsbehelfe ein, ohne dass ein Rechtsmittel eingelegt worden ist. Die formelle Rechtskraft tritt gleichfalls ein, wenn die Beschwerdeberechtigten auf Rechtsmittel verzichtet haben und wenn der BGH über die Rechtsbeschwerde endgültig entschieden hat. Ist die Ehewohnungssache nach § 1568a BGB oder die Haushaltssache nach § 1568b BGB Folgesache (§ 137 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 FamFG), so tritt die Wirksamkeit nicht vor Rechtskraft der Endentscheidung in der Scheidungssache (entsprechend § 705 ZPO i.V.m. § 120 Abs. 1 FamFG), ein, § 148 FamFG.

 

Rz. 51

Die Beschlüsse werden auch materiell-rechtskräftig. Die Endentscheidungen des FamFG über Haushaltsgegenstände und Ehewohnungen sowie in Gewaltschutzsachen werden nicht nur formell, sondern auch materiell rechtskräftig. Das FamFG enthält keine Regelungen zur materiellen Rechtskraft; § 45 FamFG betrifft allein die formelle Rechtskraft. Das FamFG enthält insbesondere keine den §§ 322, 767 ZPO entsprechenden Vorschriften, aus denen sich Aussagen zur materiellen Rechtskraft entnehmen lassen. Ulrici[79] hat dezidiert und überzeugend herausgearbeitet, dass Endentscheidungen nach den FamFG in materielle Rechtskraft erwachsen und zwar nicht nur soweit es sich um Endentscheidungen im privatrechtlichen Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt, sondern in allen Verfahren, auch in solchen, in denen der Fürsorgecharakter im Vordergrund steht.

 

Rz. 52

Die Endentscheidungen im FamFG erwachsen nach allgemeinen Grundsätzen in materielle Rechtskraft, soweit sie nur formell rechtskräftig geworden sind. Die Wirkungen der materiellen Rechtskraft führen aber nicht dazu, dass das materielle Recht (z.B. § 1382 Abs. 6 BGB) oder – im vorliegenden Zusammenhang bedeutsam – das Verfahrensrecht (§§ 48 Abs. 1, Abs. 2, 166 FamFG) Änderungsentscheidungen oder Zweitentscheidungen ausschließen. Die präjudiziellen Wirkungen der materiellen Rechtskraft binden nur die Verfahrensbeteiligten, nicht das Gericht. Das Gericht muss die präjudiziellen Bindungen zwischen den Beteiligten beachten. Die Präklusionswirkungen der Rechtskraft folgen zivilprozessualen Grundsätzen. Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft bestehen unabhängig von der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes, wie der Vergleich mit der VwGO, dem SGG und dem ArbGG zeigt. Zudem beinhaltet § 48 Abs. 1 S. 1 FamFG eine dem § 323 Abs. 2 ZPO vergleichbare zeitliche Grenze. Deswegen schließt die materielle Rechtskraft eine auf neue Tatsachen gestützte Zweitentscheidung nicht aus. Neue Tatsachen sind entsprechend zivilprozessualer Grundsätze nur solche, die im Erstverfahren objektiv nicht vorgebracht werden konnten, weil sie erst nach Abschluss der letzten Tatsacheninstanz entstanden sind.[80] Allerdings wird die Bedeutung der materiellen Rechtskraft durch die Möglichkeit der Abänderung nach § 48 Abs. 1 S. 1 FamFG eingeschränkt.

[79] In: MüKo-FamFG, § 48 Rn 24 ff.
[80] MüKo-FamFG/Ulrici, § 48 Rn 24 ff.

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