1. Einführung
a) Begriff
Rz. 90
Der Erblasser kann einer Person alle beschränkt dinglichen Rechte des Sachenrechts einräumen. Er ist nicht auf die Zuwendung der Substanz des Vermögens oder eines dinglichen Vollrechts beschränkt. Ohne weitere Anordnung ist der Erbe verpflichtet, dem Vermächtnisnehmer den Nießbrauch zu bestellen (§§ 1085, 1089 BGB). Die vermächtnisweise Zuwendung des Nießbrauchs ist vielfältig möglich. Der Nießbrauch kann am gesamten Nachlass, an einzelnen Nachlassgegenständen, an einzelnen oder allen Erbteilen bei einer Erbengemeinschaft angeordnet werden. Er bietet sich vor allem i.R.d. Unternehmensnachfolge an, wenn die Kinder noch nicht das Alter zum Führen des Unternehmens besitzen. Auch kann er eingesetzt werden, um nahe Verwandte zu versorgen. Beim Nießbrauch muss zwischen dinglichem und schuldrechtlichem Nießbrauch unterschieden werden. Es ist deshalb zu prüfen, ob das Nießbrauchvermächtnis ein beschränkt dingliches Recht oder nur ein schuldrechtliches Nutzungsrecht umfassen soll.
b) Inhalt des Nießbrauchs
Rz. 91
Laut Definition ist der Nießbrauch ein unvererbliches und grundsätzlich unübertragbares dingliches Recht mit dem Inhalt, eine Sache in Besitz zu nehmen, zu verwalten, zu bewirtschaften und sämtliche Nutzungen an der Sache zu ziehen, §§ 1030 Abs. 1, 1036, 1059, 1061 BGB. Der Eigentümer des belasteten Grundstücks muss die Nutzung dulden. Zu einer eigenen Leistung ist er grundsätzlich nicht verpflichtet.
2. Gegenstand des Nießbrauchs
Rz. 92
Laut Gesetz gibt es einen Nießbrauch an Sachen (§§ 1030–1067 BGB), an Rechten (§§ 1068–1084 BGB), an Vermögen (§§ 1085–1088 BGB) und an einer Erbschaft als Sachgesamtheit (§ 1089 BGB). Der § 1066 BGB bestimmt, dass ein Nießbrauch an einem ideellen Bruchteilsmiteigentumsanteil bestellt werden kann. Ein sog. Quotennießbrauch liegt vor, wenn der komplette Gegenstand mit einem Nießbrauch belastet ist, der Nießbraucher jedoch nur eine bestimmte Quote der Nutzungen erhält. Besitz- und Verwaltungsrecht stehen dann dem Nießbraucher und dem Eigentümer gemeinsam zu.
Muster 6.21: Nießbrauchvermächtnis an Immobilie
Muster 6.21: Nießbrauchvermächtnis an Immobilie
Im Wege des Vorausvermächtnisses – demnach ohne eine Pflicht zum Wertausgleich – wende ich meinem Sohn _________________________ das Zweifamilienhaus in _________________________, eingetragen im Grundbuch von _________________________, Band Nr. _________________________, Flurstück-Nr. _________________________, zu. Er wird mit folgendem Untervermächtnis beschwert: Meine Tochter _________________________ erhält für die Dauer von zehn Jahren ab meinem Tod den Nießbrauch an dem Gebäudegrundstück in der Weise, dass ihr die Hälfte der Erträge zustehen. Die Lastentragungsverteilung zwischen meinem Sohn _________________________ und meiner Tochter _________________________ richtet sich nach dem Gesetz.
3. Nießbrauch als gesetzliches Schuldverhältnis
Rz. 93
Der Nießbrauch lässt ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen dem Nießbraucher und dem Eigentümer entstehen. Davon ist das zugrunde liegende Schuldverhältnis zwischen dem nießbrauchberechtigten Vermächtnisnehmer und dem Erben streng zu unterscheiden. Dieses hat als einseitiges Schuldverhältnis die Einräumung des Nießbrauchs zum Inhalt.
4. Nießbrauch an Sachen
a) Rechte des Nießbrauchberechtigten
aa) Einführung
Rz. 94
Zwischen dem Nießbraucher und dem Eigentümer entsteht ein gesetzliches Schuldverhältnis. Der Nießbraucher hat das Recht, die Nutzungen aus dem Gegenstand zu ziehen. Er ist gem. § 1063 Abs. 1 BGB zum Besitz der Sache berechtigt. Bei verbrauchbaren Sachen wird der Nießbraucher gem. § 1067 BGB Eigentümer dieser Sachen. Schuldrechtlich kann gem. § 1059 S. 2 BGB einem Dritten die Ausübung des Nießbrauchs überlassen werden. Dies beinhaltet die Vermietung, Verpachtung oder die unentgeltliche Überlassung ohne Zustimmung des Eigentümers. Dies ist jedoch anfänglich oder nachträglich abdingbar. Bis zur Bestellung des Nießbrauchs hat der Vermächtnisnehmer lediglich einen obligatorischen Anspruch auf Bestellung des Nießbrauchs. Hat der Erblasser ihm nicht gleichzeitig durch eine postmortale Vollmacht unter Befreiung von § 181 BGB oder durch Testamentsvollstreckeranordnung die Befugnis zur Bestellung des Nießbrauchs eingeräumt, kann der Nießbrauchvermächtnisnehmer als Nachlassgläubiger gem. § 1981 Abs. 2 BGB die Nachlassverwaltung beantragen.
bb) Recht zur Nutznießung
Rz. 95
Der Nießbraucher ist berechtigt, alle Nutzungen des sich aus einer ordnungsgemäßen Wirtschaft ergebenden Reinertrags zu ziehen. Die Regelung, was unter dem Reinertrag zu verstehen ist, sollte jedoch unbedingt in der letztwilligen Verfügung von Todes wegen geregelt werden. Ohne Regelung sollte der betriebswirtschaftliche Reingewinn die Determinante sein.
cc) Kein Verfügungsrecht
Rz. 96
Der Nießbrauch ist gem. § 1059 S. 1 BGB nicht übertragbar. Ein Verfügungsrecht des Nießbrauchers über den Nachlassgegenstand kann nur dergestalt aussehen, dass der Nießbrauchberechtigte mit einer trans- oder postmortalen Vollmacht zur Verfügung über ...