A. Vermächtnis
I. Begriff (§ 1939 BGB)
1. Zuwendung eines Vermögensvorteils
Rz. 1
Ein Vermächtnis ist nach der Definition des § 1939 BGB die Zuwendung eines Vermögensvorteils an einen anderen durch Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag), ohne dass dieser Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers wird. Dabei rückt der Vermächtnisnehmer nicht in die Stellung des Erblassers ein, sondern erhält lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch – ein Forderungsrecht – auf Erfüllung des Vermächtnisses, d.h. auf Übertragung des zugewandten Gegenstandes oder Rechtes gegenüber dem Beschwerten (§ 2174 BGB). Beschwerter kann der Erbe bzw. bei mehreren Erben die Miterbengemeinschaft sein. Gegenstand des Vermächtnisses ist ein Anspruch auf eine Leistung, wobei diese in einem Tun oder Unterlassen liegen kann. Die Zuwendung eines "Vermögensvorteils" i.S.v. § 1939 BGB durch ein Vermächtnis kann auch in einem lediglich mittelbaren Vorteil liegen.
2. Schuldrechtlicher Vermächtnisanspruch
Rz. 2
Der Gesetzgeber hat das Vermächtnis in den §§ 1939, 2147 bis 2191 BGB geregelt. Das Vermächtnis ist der häufigste Fall eines einseitigen Schuldverhältnisses nach §§ 241 bis 304, 311 BGB. Der Vermächtnisanspruch ist ein originärer erbrechtlicher Anspruch.
Rz. 3
Bei Verzug bzgl. der Erfüllung des Vermächtnisses gelten die allg. Verzugsvorschriften. Verzug kann auch ohne Mahnung eintreten, wenn die Fälligkeit kalendermäßig berechenbar ist (§ 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Dies gilt z.B. bei der Formulierung "Das Vermächtnis ist drei Monate nach dem Erbfall fällig".
Rz. 4
Ist das Vermächtnis von Anfang an objektiv unmöglich zu erfüllen bzw. verstößt das Vermächtnis gegen ein gesetzliches Verbot, so ist das Vermächtnis gem. § 2171 Abs. 1 BGB unwirksam. Bei der Vermächtniserfüllung gelten die allg. Regeln über die Pflichtverletzung nach § 280 BGB. Jedoch haftet der Beschwerte für die dabei entstehenden Schadensersatzansprüche nicht auf den Nachlass beschränkt, sondern mit seinem gesamten Privatvermögen. Gleiches gilt im Verhältnis Haupt- zu Untervermächtnis. Die Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage sind nicht anzuwenden. Es gelten die Regelungen über die Auslegung von Verfügungen von Todes wegen. Erst wenn keine Auslegung möglich ist, könnte § 313 BGB anwendbar sein.
3. Vermächtnis im nachlassgerichtlichen Verfahren
Rz. 5
Der Gesetzgeber hat das Vermächtnis in den §§ 1939, 2147 bis 2191 BGB geregelt. Vermächtnisse sind mit Ausnahme der dinglichen Wirkung beim Vorausvermächtnis an den alleinigen Vorerben und bei Nichtwiderlegung der Vermutung des § 2110 Abs. 2 BGB nicht in den Erbschein aufzunehmen. Im nachlassgerichtlichen Verfahren zur Eröffnung einer Verfügung von Todes wegen ist der Vermächtnisnehmer Beteiligter i.S.v. § 348 FamFG. Der Vermächtnisnehmer ist daher vom Nachlassgericht bzgl. des ihn betreffenden Inhalts der letztwilligen Verfügung von Todes wegen zu benachrichtigen. Im Erbscheinsverfahren hat der Vermächtnisnehmer – mit Ausnahme der Fälle der §§ 792, 896 ZPO – keine Beschwerdeberechtigung.
II. Abgrenzung zur Erbeinsetzung
1. Einführung
Rz. 6
Die Problematik der Abgrenzung Vermächtnis – Erbeinsetzung ergibt sich i.d.R. in den letztwilligen Verfügungen, die von Erblassern ohne ausreichende juristische Beratung erstellt worden sind. Dort gilt es abzugrenzen, ob durch die Zuwendung eines einzelnen Gegenstandes es sich um eine Erbeinsetzung, d.h. das automatische Einrücken in die Stellung des Erblassers mit dessen Tod, oder um ein Vermächtnis handelt. Dabei sind die Bezeichnungen "Vermächtnis" und "Erbe" bzw. "bekommt" oder "erhält" nicht immer ausschlaggebend, da der juristische Laie normalerweise die Begriffe "vererben" und "vermachen" als gleichbedeutend ansieht.
2. Auslegungsregeln
Rz. 7
Das alles entscheidende Kriterium bei der Zuwendung einzelner Gegenstände ist das Verhältnis des Wertes des Gegenstandes zum Gesamtwert des Nachlasses. Die Auslegungsregel des § 2087 Abs. 1 BGB besagt in diesem Zusammenhang als allg. Auslegungsregel, dass eine Zuwendung des gesamten Vermögens oder eines Bruchteils des Vermögens an eine oder mehrere Personen grundsätzlich eine Erbeinsetzung darstellt. Im Gegensatz hierzu steht der § 2087 Abs. 2 BGB, der bestimmt, dass im Zweifel die Zuwendung einzelner Gegenstände keine Erbeinsetzung sein soll, selbst wenn der Bedachte als "Erbe" bezeichnet wird. Zu beachten ist dabei, dass zunächst nach den allg. Auslegungsgrundsätzen gem. §§ 133, 157 BGB der Erblasserwille über die voraussichtliche Zusammensetzung seines Nachlasses und die Wertverhältnisse der in den Nachlass fallenden Gegens...