Rz. 1

Zur Wahrnehmung von Kollisionssituationen stehen dem Fahrzeugführer in aller Regel optische, akustische und mechanische Erkennungsmerkmale zur Verfügung. Das Problem ist, dass sich zu kollisionsspezifischen Ereignissen auch kollisionsfremde hinzugesellen, so dass den äußeren Randbedingungen eines Unfallszenarios große Bedeutung zukommt.

Für den technischen Sachverständigen bilden die Schadensbilder der Fahrzeuge die maßgebliche Basis.

 

Rz. 2

Bekanntermaßen entstehen bei Fahrzeugkontakten akustische Schwingungen in einem bestimmten Frequenzband und mechanische Bewegungen der Kfz. Für die Beurteilung der Wahrnehmbarkeit kommt es ausschließlich auf die bewusste Registrierung an, was bedeutet, dass es sich um das Bewusstwerden eines den Organismus treffenden Reizes als Ergebnis von materiellen Vorgängen im Sinnesfeld des Gehirns handelt, ausgelöst durch die von entsprechenden Rezeptoren dorthin gelangenden Informationen. Diese Aussage beinhaltet die Forderung, dass der Sachverständige, der eine Wahrnehmung zu beurteilen hat, die Informationsaufnahme, den Weg der Information und die Verarbeitung selbiger auch kennt.

 

Rz. 3

Nun ist bekanntermaßen die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns keine Konstante, so dass Wachheit und Aufmerksamkeit sich nicht immer und bei jedem Menschen zu jeder Zeit auf gleichem Niveau befinden. Ein sehr geringer Aktivitätsspiegel (beispielsweise Übermüdung infolge Schlafmangel, Aufregung, Ablenkung durch Reizüberflutung etc.) stellt die Wahrnehmbarkeit teilweise maßgeblich infrage. Eine Konzentration auf innere Vorgänge erfolgt beispielsweise auch durch angestrengtes Nachdenken über eine zurückliegende Gegebenheit. In solchen Fällen blendet das menschliche Gehirn bestimmte anderweitige Wahrnehmungen aus oder lässt sie nicht einmal zu, weswegen man dann von selektiver Wahrnehmung spricht.

Das menschliche Gehirn beherrscht nicht – wie ein Computer – das Multitasking. Wir können uns nicht auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren, sondern nur zwischen Vorgängen schnell hin- und herschalten. Deswegen nehmen wir gezielt nur das wahr, was unserer aktuell zu leistenden Aufgabe halbwegs nahe kommt. Dieses Phänomen – also das völlige Ausblenden einer Sinneswahrnehmung – ist allgemein bekannt, wenn z.B. im Rahmen einer zu beurteilenden Vorfahrtsverletzung der Unfallverursacher angibt, er habe das andere Auto gar nicht bemerkt.

Es ist deswegen durchaus angezeigt, im Falle einer – aus technischer Sicht – eindeutigen Wahrnehmbarkeit, die Meinung eines erfahrenen Verkehrspsychologen hinzuzuziehen, um ggf. interdisziplinär die Frage der Registrierungsmöglichkeiten vollständig beurteilen zu können.

Dem technischen Sachverständigen stehen nämlich in aller Regel nur die Schadensbilder der Fahrzeuge zur Verfügung, aus denen er den Anstoßwinkel wie auch die Bewegungsrichtungen rekonstruieren kann. Über die Beiziehung von Crashversuchsergebnissen respektive die Durchführung solcher können dann Aussagen dazu getroffen werden, welche Verzögerung mit dem Kollisionsgeschehen einherging und über welches Zeitfenster sie andauerte.

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