Marnie Plehn, Peter Hützen
I. Kündigungsbefugnis
Rz. 25
Bei Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbotes geht die Arbeitgeberfunktion kraft "gesetzlicher Kompetenzzuweisung" auf den vorläufigen (starken) Insolvenzverwalter über (s.o. oben Rdn 3). Dieser ist nunmehr allein kündigungsbefugt. Auch der starke vorläufige Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 21 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 i.V.m. § 22 Abs. 1 InsO), kann in dem Sonderfall der Betriebsstilllegung jedoch nur wirksam kündigen, wenn er zuvor die Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Stilllegung eingeholt hat, § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO (LAG Hessen v. 1.11.2004, ZInsO 2005, 1120), es sei denn, die Stilllegung wurde behördlich angeordnet (LAG Hamburg v. 16.10.2003 – 8 Sa 63/03, ZIP 2004, 869).
Rz. 26
Der vorläufige (schwache) Insolvenzverwalter, der bestellt wird, ohne dass dem Schuldner gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. InsO ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt und angeordnet wird, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, hat keine Kündigungsbefugnis. In diesem Fall bleibt der Schuldner alleiniger Arbeitgeber und weiterhin – allein – zur Kündigung befugt (Gottwald/Haas/Bertram/Künzl, § 102 Rn 20). Das Insolvenzgericht kann dem vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalters bei seiner Bestellung jedoch das Kündigungsrecht ausdrücklich kraft "gerichtlicher Kompetenzzuweisung" als Einzelbefugnis übertragen (BGH v. 18.7.2002, NJW 2002, 3326 = ZInsO 2002, 819, 823; BAG v. 10.10.2002, NZA 2003, 909 = ZInsO 2003, 817; Berscheid, in: FS Hanau, S. 701, 728; Uhlenbruck/Zobel, § 22 InsO Rn 80; HK/Schröder, § 22 InsO Rn 115).
Rz. 27
Der vorläufige Insolvenzverwalter kann sich ebenso wie der Arbeitgeber beim Ausspruch von Kündigungen durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Es handelt sich hierbei nicht um insolvenzspezifische, der Vertretung nicht zugängliche Geschäfte (BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, KTS 1989, 422 = NZA 1989, 264 = ZIP 1989, 57). Die Vertretungsmöglichkeit gilt auch für die weiteren Abwicklungsvorgänge, insb. für die Ausstellung von Arbeitspapieren und die Erteilung von Arbeitszeugnissen (Berscheid, ZInsO 1999, 9, 13; ders., NZI 2000, 1, 4; Uhlenbruck/Zobel, § 22 InsO Rn 80).
II. Kündigungsschutz im Insolvenzeröffnungsverfahren
Rz. 28
Für die Kündigung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter gelten keine Besonderheiten. Die Formvorschriften für eine Kündigung finden ebenso Anwendung wie die Kündigungsschutzvorschriften. Die Nichteinhaltung der Schriftform hat gem. § 623 BGB i.V.m. § 125 S. 1 BGB die Nichtigkeit einer mündlich ausgesprochenen Kündigung zur Folge. Gleiches gilt, wenn in den Fällen des § 22 Abs. 3 BBiG, des § 9 Abs. 3 S. 2 MuSchG und des § 64 Abs. 2 SeemG die Kündigung ohne Angabe der Kündigungsgründe erfolgt (Berscheid, BuW 1998, 913, 916). Insoweit besteht vor Stellung des Insolvenzantrages und während der vorläufigen Verwaltung kein Unterschied zur Rechtslage nach Verfahrenseröffnung (Berscheid, ZInsO 2000, 208). Die Schriftform für die Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gilt sowohl für die Beendigungskündigung des Arbeitnehmers als auch für die des Arbeitgebers und damit für die des vorläufigen Insolvenzverwalters. Eine Änderungskündigung bezweckt zwar nur eine inhaltliche Änderung des Arbeitsverhältnisses. Da sie aber bei fehlendem oder verspätetem Vorbehalt (s. dazu BAG v. 17.6.1998 – 2 AZR 336/97, EWiR 1998, 989 m. Anm. Oetker = NJW 1999, 236 = NZA 1998, 1225 = ZIP 1998, 2017) in eine Beendigungskündigung umschlagen kann, bedarf auch die Änderungskündigung zu ihrer Wirksamkeit ebenfalls stets der Schriftform (BAG v. 16.9.2004, AP Nr. 78 zu § 2 KSchG 1969 = BAGReport 2005, 115).
Rz. 29
Der allgemeine und besondere Kündigungsschutz gilt grundsätzlich sowohl im Insolvenzeröffnungsverfahren als auch nach Verfahrenseröffnung. Die Frage, mit welcher Kündigungsfrist Arbeitsverhältnisse beendet werden können, ist dagegen in beiden Verfahrensabschnitten unterschiedlich zu beantworten. Bei Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbotes geht zwar die Arbeitgeberfunktion einschließlich der Kündigungsbefugnis kraft "gesetzlicher Kompetenzzuweisung" (dazu Uhlenbruck, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 325, 337 Rn 12) auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über; ebenso wie bei Bestellung unter Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehaltes und ausdrücklicher Zuweisung des Kündigungsrechts kraft "gerichtlicher Kompetenzzuweisung" (dazu Uhlenbruck, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 325, 337 Rn 12). In beiden Fällen aber hat der vorläufige Insolvenzverwalter die gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine des § 622 BGB und bei Tarifgeltung (Tarifbindung kraft Organisationszugehörigkeit, Allgemeinverbindlicherklärung, Inbezugnahme) vergleichbare tarifliche Regelungen sowie einzel- oder tarifvertragliche Kündigungsbeschränkungen und -erschwerungen zu beachten.
Rz. 30
Die Regelungen des § 113 InsO gelten nämlich nicht im Eröffnungsverfahren (BAG v. 20.1.2005, AP 18 zu § 113 InsO = ZIP 2005, 1289). In § 22 InsO wird weder auf die arbeitsrechtlichen Vorschriften der In...