1. Erhebliche Verkehrsordnungswidrigkeiten
Rz. 10
Zwar können schwere Verkehrsverstöße Eignungszweifel wecken, i.d.R. ist dies aber nur bei wiederholten Verstößen angängig. So genügt z.B. ein erstmaliger Verstoß selbst dann nicht, wenn er erheblich ist, der Betroffene z.B. die zulässige Geschwindigkeit um 51 km/h überschritten hatte.
Rz. 11
Von Eignungszweifeln kann vielmehr erst dann ausgegangen werden, wenn der Fahrer sich beharrlich über Verkehrsvorschriften hinwegsetzt, wobei aus den Zuwiderhandlungen in ihrer Gesamtwürdigung nach Zahl, Art und zeitlicher Aufeinanderfolge hervorgehen muss, dass der Fahrzeugführer nicht gewillt ist, die im Interesse der allgemeinen Verkehrssicherheit erlassenen Vorschriften zu befolgen, und diese Verstöße bei ihm einen Hang zur Missachtung von Verkehrsvorschriften erkennen lassen (Nds. OVG zfs 2000, 129).
Rz. 12
Das dürfte trotz der Tatsache, dass § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV nach der 4. Änderungsverordnung nun ausdrücklich bestimmt, dass eine MPU bereits bei einem erheblichen Verstoß oder wiederholten Verstößen (wobei es hier auf den materiell-rechtlichen, nicht auf den prozessualen Tatbegriff ankommt, Nds. OVG zfs 2018, 56) gegen verkehrsrechtliche Vorschriften angeordnet werden kann, fortgelten.
Rz. 13
Achtung: MPU auch vor Erreichen von 8 Punkten möglich
Eignungszweifel bestehen ohne Weiteres – wie die Regelung des § 4 StVG zeigt – bei Erreichen von 8 Punkten nach dem Punktsystem. Diese vom Gesetzgeber vorgenommene Bewertung wiederholter Verstöße hat aber bereits vor der Reform der FeV nicht ausgeschlossen, dass auch außerhalb des Punktsystems Verkehrsverstöße Eignungszweifel begründen konnten (VG Braunschweig NZV 2000, 101).
Nach der im Rahmen der 3. Verordnung zur Änderung der FeV und anderer straßenverkehrsrechtlicher Gesetze vom 9.8.2004 (BGBl I, 2092) erfolgten Ergänzungen der Nr. 4 in § 11 Abs. 3 FeV ist es möglich, eine MPU nicht nur bei Begehung verkehrsrelevanter Straftaten anzuordnen, sondern auch dann, wenn nur Ordnungswidrigkeiten begangen wurden, die, obwohl der Betroffene noch keine 8 Punkte erreicht hat oder sein Punktestand gem. § 4 Abs. 6 StVG auf 7 Punkte zu reduzieren ist, auf Eignungszweifel schließen lassen (OVG NRW NZV 2007, 590).
Allerdings muss die Fahrerlaubnisbehörde hier mit Blick auf die vom Gesetzgeber im Punktsystem getroffene Regelung alle Umstände des Einzelfalles besonders sorgfältig würdigen (VG München DAR 2008, 283) und das ausnahmsweise Verlassen des Punktsystems eingehend begründen (OVG Koblenz DAR 2009, 478; OVG NRW NZV 2011, 215; VGH Bad.-Württ. zfs 2014, 415; VGH Bad.-Württ. zfs 2015, 114).
Eine vom Punktsystem abweichende sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis kommt deshalb allenfalls dann in Frage, wenn auf den Betroffenen bereits einmal das gesamte Instrumentarium des Punktsystems angewandt worden war und er nach Wiedererteilung der FE innerhalb kurzer Zeit erneut erheblich gegen Verkehrsvorschriften verstoßen hat (OVG Münster DAR 2011, 629).
2. Nicht eintragungspflichtige Verkehrsverstöße
Rz. 14
Verkehrsordnungswidrigkeiten, denen für sich genommen ein so geringes Gewicht beizumessen ist, dass sie noch nicht einmal in Flensburg eingetragen werden (wie z.B. Verstöße gegen Parkvorschriften), können – selbst wenn sie häufig begangen werden – nur ausnahmsweise und in besonders krassen Fällen Eignungszweifel rechtfertigen (OVG des Saarlandes zfs 1995, 399; Nds. OVG zfs 2000, 129), und zwar nur dann, wenn aus dem Verhalten des Betroffenen geschlossen werden kann, dass er die Rechtsordnung nicht anerkennt und nicht willens ist, zumindest bloße Ordnungsvorschriften einzuhalten (VG Berlin zfs 2013, 59).
Rz. 15
Grundsätzlich rechtfertigt somit auch eine Vielzahl von nicht eintragungspflichtigen Verstößen (hier 48) noch nicht ohne Weiteres Eignungszweifel (OVG Hamburg DAR 1997, 290).
3. Halterverstöße
Rz. 16
Auch der Halter, der – ohne dies zu unterbinden – durch zahlreiche ihm zugehende Bußgeldbescheide erfährt, dass der oder die Nutzer seines Fahrzeuges laufend gegen Verkehrsvorschriften verstoßen, kann ungeeignet sein (OVG Münster DAR 1997, 501).
4. Straftaten
Rz. 17
Die 4. Verordnung zur Änderung der FeV und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (BR-Drucks 302/08) hat in § 11 Nr. 4–7 FeV weitere mögliche Anordnungsfälle ausdrücklich genannt. So kann jetzt eine MPU auch bei einer erheblichen Straftat angeordnet werden, die unter Nutzung eines Kraftfahrzeugs begangen wurde (Nr. 6) bzw. die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr (Nr. 5) oder – vor allem bei hohem Aggressionspotential (OVG Lüneburg DAR 2017, 158) – mit der Fahreignung steht (Nr. 6).
Allerdings dürfen im BZRG einzutragende Straftaten nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sich aus den Eintragungspflichten ein Verwertungsverbot ergibt (OVG Münster NZV 2017, 447).
Umstritten ist, ob eine "normale" Unfallflucht zu Eignungszweifeln berechtigt.
Bei wiederholter Tatbegehung genügen dagegen einfache Straftaten. Die Verordnung reagiert damit auf die Rechtsprechung des BGH zu den Indizstraftaten des § 69 Abs. 1 StGB, nach der die Fahrerlaubnis nur entzogen werden kann, wenn ein verkehrsspezifischer Zusamm...