A. Rechtliche Grundlagen
Rz. 1
Deutschland hat die EU-Führerscheinrichtlinie durch das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24.4.1998 (BGBl I S. 447 ff.) in nationales Recht umgesetzt. Ergänzt wird dieses Gesetz durch die Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (FeV) und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 18.8.1998, BGBl I S. 2214 (mit zwischenzeitlich vier Änderungsverordnungen), mit der die §§ 4–15 StVZO, die bisher u.a. die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) regelten, abgelöst wurden. Gleichzeitig wurden die zuvor in den Eignungsrichtlinien geregelten Anlässe für die Anordnung einer MPU gesetzlich verankert (z.B. § 2 Abs. 8 StVG, §§ 11, 13, 14 sowie Anlage 4 u. 5 FeV) und die Grundsätze für die Untersuchung und die Erstellung von Gutachten durch die FeV verbindlich festgelegt (Anlage 15 zu § 11 Abs. 5 FeV).
Rz. 2
Hinweis
Das StVG verwendet anstatt des Begriffs "MPU" den des "Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung", während die FeV die bisherige Terminologie beibehält. Im Folgenden wird deshalb die weithin geläufige Bezeichnung "MPU" weiterverwandt.
B. Wann und ggf. welche Maßnahmen darf die Führerscheinbehörde ergreifen?
Rz. 3
Werden Tatsachen bekannt, die Eignungszweifel eines Führerscheinbewerbers oder eines Führerscheininhabers begründen, muss er die entstandenen Zweifel (auf eigene Kosten) widerlegen. Eignungszweifel begründende Tatsachen erfährt die Verwaltungsbehörde oft auch aus anderen Verfahren, so sind z.B. Polizeibeamte gem. § 2 StVG verpflichtet, solche ihnen im Rahmen von Ermittlungen bekannt gewordene Tatsachen der Führerscheinbehörde mitzuteilen. Schließlich können sich Eignungszweifel auch aus Ermittlungsakten ergeben – der Führerscheinbehörde steht ein Akteneinsichtsrecht zu – z.B. aus einem in der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte enthaltenen ärztlichen Gutachten (VG Würzburg SVR 2014, 36).
Achtung: Vorrang eines laufenden Strafverfahrens
Umstände, die Gegenstand eines laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sind, darf die Führerscheinbehörde allerdings in der nach § 3 Abs. 4 StVG bestehenden Achtungspflicht nicht einer eigenen Prüfung zugrunde legen (VGH Mannheim DAR 2014, 413; OVG Bautzen DAR 2017, 650 sowie nachfolgend Rdn 18).
Welches der von § 2 Abs. 8 StVG vorgegebenen Mittel nämlich:
▪ |
Gutachten oder Zeugnis eines Facharztes oder eines Amtsarztes, |
▪ |
Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (MPU) sowie |
▪ |
Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr |
die Verwaltungsbehörde zur Widerlegung der Eignungszweifel verlangt, hängt von der Art der jeweiligen Eignungszweifel ab und steht in deren pflichtgemäßen Ermessen (vgl. z.B. für die Gutachtenanforderungen nach § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5, 9b FeV: OVG Lüneburg zfs 2018, 356).
Sie muss bei ihrer Wahl den Grundsatz der abgestuften Vorgehensweise beachten (BVerwG zfs 1997, 39; OVG Bremen NJW 2000, 2438; OVG Thüringen zfs 2003, 264; OVG Saarlouis zfs 2007, 475), wie dies jetzt die einschlägigen Vorschriften der §§ 11 ff. FeV ausdrücklich vorschreiben.
Rz. 4
Tipp: Freie Wahl des Gutachters
Der Betroffene kann sowohl den ärztlichen Gutachter als auch die Begutachtungsstelle aus dem Kreis der zugelassenen Gutachter frei wählen, wobei die Behörde verpflichtet ist, ihm eine entsprechende Liste zur Verfügung zu stellen. Unzulässig ist es, dem Betroffenen die Untersuchung bei einem bestimmten Arzt oder bei einer bestimmten Stelle, z.B. Institut für Rechtsmedizin vorzuschreiben (OVG Hamburg NZV 2000, 348; VG Oldenburg zfs 2010, 179; OVG Münster NZV 2019, 542).
Nach immer noch geltender herrschender, aber heftig umstrittener Meinung handelt es sich bei entsprechender Anordnung der Verwaltungsbehörde nicht um einen selbstständig angreifbaren Verwaltungsakt, sondern lediglich um eine vorbereitende Maßnahme (BVerfG DAR 1994, 372; BVerwG DAR 2017, 410).
Rz. 5
Achtung: Kein Verwaltungsakt
Bei dieser Aufforderung handelt es sich nach immer noch geltender, aber bedenklicher Rechtsprechung lediglich um eine einen Verwaltungsakt vorbereitende unselbstständige Maßnahme und damit nicht um einen mit Rechtsbehelfen angreifbaren Verwaltungsakt (BVerfG DAR 1994, 372; BVerwG zfs 1996, 77; OVG Schleswig-Holstein zfs 2014, 539).
Zur Kritik siehe Haus.
Rz. 6
Achtung: Grundsatz der abgestuften Vorgehensweise
In ihrer Wahl ist die Führerscheinbehörde indessen nicht frei. Welche Art der Begutachtung im Einzelfall verlangt werden kann, ist vielmehr unter Berücksichtigung des insoweit tangierten Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG) und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu bestimmen (BVerfG zfs 1993, 285; OVG Münster NZV 2019, 542). Daraus folgt, dass die Verwaltungsbehörde bei der Wahl ihrer Mittel den Grundsatz der abgestuften Vorgehensweise (BVerwG zfs 1995, 317; zfs 1997, 39; OVG Bremen NJW 2000, 2438; OVG Thüringen zfs 2003, 264; OVG Saarlouis DAR 2007, 475), der auch in den jetzt einschlägigen Vorschriften der §§ 11 ff. FeV seinen Nieder...