Rz. 14
Rechtsgrundlage ist die 2. EU-Führerscheinrichtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29.7.1991 (ABl I 237/1 v. 24.8.1991), in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung und die 3. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 2006/126/EG v. 20.12.2006. Beide Richtlinien schreiben als grundlegendes Prinzip die gegenseitige Anerkennung von Führerscheinen vor. In der dritten Führerscheinrichtlinie, namentlich in der dortigen Regelung des Art. 11 Abs. 4 S. 2 sahen viele die Chance, das Problem des Führerscheintourismus eindämmen zu können (BayVGH zfs 2010, 116; OVG NRW zfs 2010, 236; VGH Bad.-Württ. DAR 2010, 153). Diesen Versuchen ist der EuGH (DAR 2012, 319) jedoch entgegengetreten, indem er klargestellt hat, dass die Bestimmung des Art. 11 Abs. 4 S. 2 der 3. Führerscheinrichtlinie nur als Rechtsfolgenverweisung zu verstehen sei und deshalb die bisherigen Tatbestandsvoraussetzungen für die Nichtanerkennung einer von einem Mitgliedsstaat ausgestellten Fahrerlaubnis ebenso wenig wie seine bisherige Rechtsprechung fortgelte (EuGH NZV 2012, 453).
Danach besteht auch unter Geltung der 3. Führerscheinrichtlinie die grundsätzliche Pflicht, Führerscheine der EU ohne jede weitere Formalität gegenseitig anzuerkennen, wobei nur der Ausstellerstaat überprüfen darf, ob das Wohnsitzerfordernis erfüllt ist (EuGH zfs 2004, 287; zfs 2008, 473) und der Aufnahmestaat selbst Eignungszweifel nur auf zeitlich nach der Erteilung der Fahrerlaubnis liegende Tatsachen stützen kann (EuGH DAR 2006, 375; 2011, 74). Nationale Regelungen, die sich mit der gegenseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen befassen, wie z.B. § 28 FeV, insbesondere dessen Absatz 4, sind deshalb im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofes auszulegen (EuGH zfs 2012, 351).
Rz. 15
Von diesem grundsätzlichen Anerkennungsgebot darf eine Ausnahme nur dann gemacht werden, wenn das Wohnsitzprinzip (siehe hierzu Rdn 6 ff.) unstreitig nicht erfüllt war (BVerwG zfs 2013, 534; Nds. OVG zfs 2014, 179). Zur Prüfung dieser Frage sind die nationalen Behörden und Gerichte des Aufnahmestaates berechtigt und nach den Verträgen auch verpflichtet. Hierbei dürfen sie jedoch nur Tatsachen verwerten, die aus unbestreitbaren Informationen des Ausstellerstaates herrühren (EuGH zfs 2008, 473). Zur Prüfung ist die Verwaltungsbehörde auch dann berechtigt, wenn im Führerschein ein ausländischer Wohnsitz eingetragen ist (OVG Lüneburg DAR 2014, 44), zu den Voraussetzungen, unter denen ein Scheinwohnsitz unterstellt werden kann (VGH München NZV 2017, 292).
Rz. 16
Heftig umstritten ist jedoch, welche Informationen diese Voraussetzungen erfüllen:
Einigkeit besteht zunächst darüber, dass die Anerkennung versagt werden darf, wenn sich bereits aus dem Führerschein ein Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip ergibt, z.B. dort ein deutscher Wohnsitz eingetragen ist (EuGH NJW 2012, 370).
Ansonsten ist das Merkmal "vom Ausstellerstaat herrührende unbestreitbare Information" eng auszulegen (OVG Münster DAR 2014, 160; NZV 2018, 295).
Unter den Begriff fallen allenfalls auf entsprechende Aufforderung übermittelte Auskünfte der dortigen Meldebehörden oder der Polizei (BayVGH NZV 2013, 359) bzw. der Fahrerlaubnisbehörde (VGH Bad.-Württ. NZV 2014, 596) oder durch Einschaltung der Botschaft übermittelte Informationen (EuGH NZV 2012, 453), nicht jedoch nicht direkt vom Ausstellerstaat, sondern in Form von Mitteilung Dritter erlangte (EuGH NJW 2010, 217; zfs 2012, 359; BVerwG NZV 2010, 321; a.A. VGH München NZV 2017, 398).
Deshalb reichen weder Angaben von Privatpersonen, Vermietern noch von Arbeitgebern (OVG des Saarlandes DAR 2010, 281) und selbst die von den Betroffenen selbst gegenüber einer deutschen Behörde oder einem Gericht gemachten Angaben sollen ebenso wenig verwertbar sein (EuGH DAR 2009, 637) wie sein Eingeständnis gegen das Wohnsitzprinzip verstoßen zu haben (OLG Oldenburg NZV 2013, 353).
Schließlich fallen unter den Begriff auch nicht Informationen, die den Behörden des Ausstellerstaates bekannt waren oder bei zumutbarer Prüfung hätten bekannt sein müssen, wie z.B. bei der Angabe einer deutschen Adresse im ausländischen Antragsformular, und zwar deshalb, weil über die Erteilung der Fahrerlaubnis alleine der Ausstellerstaat zu entscheiden habe (EuGH NZV 2004, 372).
Mit dieser Rechtsprechung nicht zu vereinbaren sind Entscheidungen wie die des OLG Zweibrücken (zfs 2017, 712) oder des VGH München (DAR 2018, 583), die es genügen lassen, dass Informationen eines Ausstellerstaates auf einen Wohnsitzverstoß nur hindeuten, weitere Indizien jedoch hinzukommen, wozu bereits die Beantwortung einer entsprechenden Wohnsitzanfrage durch den Ausstellerstaat mit Nichtwissen ("unknown") genügen soll (Nds. OVG zfs 2018, 296).
Dem tritt zu Recht das OVG Münster (NZV 2018, 295) und auch Koehl in der Entscheidungsanmerkung mit der Begründung entgegen, dass das bloße Ausbleiben der angeforderten ergänzenden Informationen und schon gar nicht eine formularmäßige Antwort wie "die näheren Umstände des Aufenthaltes sind nicht bekannt"...