Gertrud Romeis, Jürgen Beck
I. Allgemeines
Rz. 86
Ist ein deutscher Arbeitnehmer vorübergehend im Ausland tätig bzw. ein ausländischer Arbeitnehmer vorübergehend in der Bundesrepublik, stellt sich die Frage, ob und ggf. wie diese Arbeitnehmer sozialversichert sind, d.h. ob und wie sie unter dem Schutz der gesetzlichen Kranken-, Renten-, Unfall-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung stehen.
Rz. 87
Grds. unterliegen nach § 3 SGB IV alle Personen den Vorschriften über die Versicherungspflicht sowie Versicherungsberechtigung (freiwillige Versicherung), die im Geltungsbereich des SGB (d.h. in der BRD) als Arbeitnehmer beschäftigt oder selbstständig tätig sind (Territorialitätsgrundsatz). Die Versicherungspflicht bzw. Versicherungsberechtigung knüpft demzufolge nicht an die Staatsangehörigkeit eines Arbeitnehmers, sondern vor allem an den Arbeitsort an. Das bedeutet: Nach § 3 SGB IV ist der türkische Arbeitnehmer, der in Deutschland arbeitet, in den verschiedenen Versicherungszweigen der deutschen Sozialversicherung versicherungspflichtig bzw. -berechtigt, der deutsche Arbeitnehmer, der im Ausland arbeitet, aber nicht. Nach § 3 SGB IV kommt es zunächst nur darauf an, an welchem Ort und in welchem Land die Arbeit stattfindet.
Rz. 88
Der Territorialitätsgrundsatz des § 3 SGB IV, durch den deutsche Arbeitnehmer, die im Ausland tätig sind, nicht in der deutschen Sozialversicherung versicherungspflichtig bzw. versicherungsberechtigt und demzufolge auch nicht beitragspflichtig sind, wird durch §§ 4 ff. SGB IV durchbrochen. Allerdings gelten diese Vorschriften gem. § 6 SGB IV nur, sofern es für die vorliegenden Fälle keine Vorschriften des über- und zwischenstaatlichen Rechts gibt (s. Rdn 102). Das bedeutet, dass zunächst festzustellen ist, ob es ein Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und dem Staat, in den der Arbeitnehmer entsandt werden soll, gibt bzw. eine VO für die Beschäftigung Regelungen trifft (z.B. EG-VO 883/2004 für die Entsendung innerhalb der EU). Die grundsätzlichen Regelungen sind im Allgemeinen aber den §§ 3 ff. SGV IV nachgebildet.
Nach § 4 SGB IV sind z.B. deutsche Arbeitnehmer, die im Ausland arbeiten, genauso versicherungspflichtig bzw. versicherungsberechtigt als wenn sie in Deutschland arbeiteten, wenn
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sie in ein Gebiet außerhalb der Bundesrepublik entsandt worden sind, |
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zwischen ihnen und ihrem Arbeitgeber ein Beschäftigungsverhältnis besteht, das seinen Mittelpunkt und Kern in Deutschland hat und |
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die Entsendung infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist (Ausstrahlung). |
II. Entsendung ins Ausland
Rz. 89
Das deutsche Sozialversicherungsrecht besitzt unter diesen Voraussetzungen Geltung auch für eine Beschäftigung im Ausland. Umgekehrt unterliegen ausländische Arbeitnehmer, die nur vorübergehend nach Deutschland entsandt worden sind, nicht den Vorschriften des deutschen Sozialversicherungsrechtes (§ 5 SGB IV – Einstrahlung). Selbstständige werden nach §§ 4 Abs. 3, 5 Abs. 2 SGB IV abhängig beschäftigten Arbeitnehmern gleichgestellt.
Rz. 90
Eine Entsendung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer sich auf Weisung seines Arbeitgebers von Deutschland aus in das Ausland begibt, um dort eine Beschäftigung für diesen Arbeitgeber auszuüben. Dass der Arbeitnehmer ausdrücklich für die Auslandsbeschäftigung eingestellt worden ist und vorher im Inland noch nicht für den Arbeitgeber tätig war, steht dem nicht entgegen. Eine vorherige Beschäftigung ist nicht erforderlich. Es muss auch nicht sichergestellt sein, dass der Arbeitnehmer nach seinem Auslandseinsatz bei dem entsendenden Arbeitgeber wieder- bzw. weiterbeschäftigt wird. Es kommt nur darauf an, dass während der Auslandstätigkeit das Arbeitsverhältnis (sozialrechtlich korrekt muss vom Beschäftigungsverhältnis gesprochen werden) in seinem Kern in Deutschland besteht. Eine Entsendung liegt nicht vor, wenn ein Arbeitnehmer im Ausland lebt – auch wenn er von Deutschland dorthin ausgewandert ist – und dort eine Beschäftigung für einen deutschen Arbeitgeber aufnimmt. Eine Entsendung kann auch im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung stattfinden, wenn z.B. ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer von Deutschland aus ins Ausland verleiht und hierfür die erforderliche Verleiherlaubnis nach dem AÜG besitzt.
Rz. 91
Eine Entsendung kann sich auch auf verschiedene Staaten beziehen. Ein Arbeitnehmer kann demnach in mehrere Staaten ohne zeitliche Unterbrechung entsandt werden, vorausgesetzt, dass die Beschäftigung insgesamt im Voraus zeitlich begrenzt ist. Wichtig ist hierbei, dass Anhaltspunkte dafür sprechen, dass der Arbeitnehmer nach dem Auslandseinsatz in die BRD zurückkehrt, um hier seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (wieder) zu nehmen.
Rz. 92
Personen, die in einem anderen Staat eingestellt und von dort in einen Drittstaat entsandt werden, sind nicht "entsandt" i.S.d. § 4 SGB IV. Dementsprechend liegt eine Entsendung nicht vor, wenn eine Person im Ausland lebt und dort eine Beschäftigung für einen inländischen Arbeitgeber aufnimmt, selbst wenn sie beabsichtigt, ihren Wohnsitz in die ...