Gertrud Romeis, Jürgen Beck
Rz. 102
Gegenüber den Regeln der Ausstrahlung (§ 4 SGB IV) und Einstrahlung (§ 5 SGB IV) sind gem. § 6 SGB IV Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts vorrangig. Überstaatliches Recht sind die EU-Verordnungen (s. insb. die VO [EG] Nr. 883/2004, die seit dem 1.5.2011 gilt, früher EWG-VO 1408/71) über soziale Sicherheit, zwischenstaatliches Recht die Abkommen über soziale Sicherheit bzw. Arbeitslosenversicherung. §§ 4, 5 SGB IV gelten demnach nicht, wenn die Vorschriften über- bzw. zwischenstaatlichen Rechtes eingreifen.
Rz. 103
Folgende Regelungen des über- bzw. zwischenstaatlichen Rechtes sind zu beachten: VO (EG) Nr. 883/2004 für die meisten EWR-Staaten; Abkommen der BRD über soziale Sicherheit bzw. Arbeitslosenversicherung mit Bosnien-Herzegowina, Chile, China (s. Die Leistungen 2002, 276), Israel, Serbien und Montenegro (es gilt das Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und Jugoslawien weiter), Kanada, Kroatien, Marokko, Mazedonien, Polen, Schweiz, Slowenien, Türkei, Tunesien und USA. In keinem dieser Abkommen finden sich Vorschriften über die Anwendung der Pflegeversicherung. Im Unterschied zu den §§ 4 ff. SGB IV bestimmen die Sozialversicherungsabkommen und auch die EU-VO im Allgemeinen eine Entsendehöchstdauer. Diese beträgt bei Sozialversicherungsabkommen häufig 24 Monate (so auch nach Art. 12 VO -EG- Nr. 883/2004). Die Rechtsvorschriften des Entsendestaates über die Versicherungspflicht sind auf die Beschäftigung in Deutschland nach EU-Recht nicht anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer einen zuvor entsandten Arbeitnehmer, dessen Entsendezeit (12 bzw. 24 Monate) abgelaufen ist, ablöst (Art. 12 Abs. 1 EG-VO 883/2004). Infolge des Austritts Großbritanniens im Zuge des sog. Brexit ergeben sich vielfältige Besonderheiten. Bis 31.12.2020 galten die früheren EU-Regelungen. Ab 1.1.2021 gilt nunmehr das Handels- und Kooperationsabkommen (Partnerschaftsvertrag). Im Einzelnen gilt derzeit (https://www.dvka.de/de/informationen/brexit/brexit.html), dass die Regelungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
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für Sachverhalte, die einen grenzüberschreitender Bezug vor dem 1.1.2021 haben, unter den im Austrittsabkommen genannten Voraussetzungen weiter gelten und |
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für Sachverhalte, die ab dem 1.1.2021 beginnen und vorher keinerlei grenzüberschreitenden Bezug zwischen einem EU-Mitgliedstaat und dem Vereinigten Königreich hatten, unter dem im Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich (Partnerschaftsvertrag) genannten Voraussetzungen weiter gelten. |
Für grenzüberschreitende Leistungen bei Krankheit gelten ab 1.1.2021 die bisherigen Bestimmungen grundsätzlich fort. Leistungen bei Pflegebedürftigkeit sind hingegen nicht erfasst. Von deutschen Krankenkassen ausgestellte Europäische Krankenversicherungskarten (EHICs) sowie Provisorische Ersatzbescheinigungen (PEBs) können bei vorübergehenden Aufenthalten im Vereinigten Königreich auch ab 1.1.2021 im bisherigen Format weiterhin eingesetzt werden. Auch vom britischen Träger ausgestellte EHICs und PEBs können ab 2021 bei vorübergehenden Aufenthalten in Mitgliedstaaten weiter eingesetzt werden. Dabei gilt ab 1.1.2021 für vom Austrittsabkommen erfasste Personen Folgendes:
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Personen, die in vollem Umfang vom Austrittsabkommen erfasst sind (Art. 30 Austrittsabkommen), müssen beim britischen Träger eine EHIC im neuen Design (Citizens‘ Rights-EHIC) bzw. PEB, falls diese noch nicht verfügbar ist, beantragen. Dazu zählen z.B. entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. |
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Studierende, die gewöhnlich im Vereinigten Königreich wohnhaft sind und seit einem Zeitpunkt vor Ablauf des Übergangszeitraums (31.12.2020) in einem Mitgliedstaat studieren, erhalten eine eigene EHIC für Studierende. Diese kann für einen bestimmten Zeitraum und mittels eines Ländercodes für ein bestimmtes Land begrenzt sein. Aufgrund des neuen Abkommens soll die EHIC für Studierende in allen Mitgliedstaaten – unabhängig vom eingetragenen Ländercode – akzeptiert werden. |
Hinweis
Informationen zu den Besonderheiten der einzelnen Staaten finden sich auf der Homepage der Deutschen Verbindungsstellen Krankenversicherung – Ausland unter www.dvka.de