Carsten Beisheim, Gertrud Romeis
Rz. 14
Bei Bestehen eines Betriebsrates ist der Abschluss einer Betriebsvereinbarung nahezu unvermeidbar, da elementare Inhalte von Compliance-Management-Systemen ohnehin der Mitbestimmungspflicht unterliegen (Schreiber, NZA-RR 2010, 617, 623; Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4209; v. Steinau-Steinrück/Glanz, NJW-Spezial 2008, 146, 147, Mengel/Hagemeister, BB 2007, 1386, 1391; detailliert hierzu auch: Neufeld/Knitter, BB 2013, 821). Hierdurch kann der Arbeitsvertrag unmittelbar und zwingend gestaltet werden, § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG. Eine Betriebsvereinbarung entfaltet gemäß § 5 BetrVG Wirkung für alle Arbeitnehmer. Geschäftsführer, Vorstände und leitende Angestellte werden von ihr jedoch nicht erfasst (§ 5 Abs. 2, 3 BetrVG).
Rz. 15
Die Implementierung von Compliance-Richtlinien mittels Betriebsvereinbarung bietet für den Arbeitgeber diverse Vorteile.
Zwar unterliegt diese der Inhaltskontrolle nach § 75 BetrVG, aber keiner Kontrolle anhand der §§ 305 ff. BGB (Gaul/Ludwig, BB 2010, 55, 59; Hohmuth BB 2014, 3061, 3063; v. Steinau-Steinrück/Glanz, NJW-Spezial 2008, 146, 147). Die Kontrolle nach § 75 BetrVG hat dabei einen milderen Maßstab als eine vertragliche AGB-Kontrolle. Vorteilhaft ist weiterhin, dass etwaige aufwendige Verhandlungen zur Einholung individueller Zustimmungen der Arbeitnehmer vermieden werden und alle Arbeitnehmer erfasst werden. Zudem ist es möglich, die Compliance-Richtlinien mit Zustimmung des Betriebsrats in einer neuen Betriebsvereinbarung zulasten der Arbeitnehmer zu verändern. Schließlich können Betriebsvereinbarungen bei den Arbeitnehmern zu einer hohen Akzeptanz führen (v. Steinau-Steinrück/Glanz, NJW-Spezial 2008, 146, 147; Vogt, NJOZ 2009, 4206, 4209).
Rz. 16
Allerdings ist zu beachten, dass eine Betriebsvereinbarung nicht eine für den Arbeitnehmer günstigere individual-rechtliche Vereinbarung verdrängen kann (BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168; BAG v. 7.11.1989 – GS 3/85; vgl. Schröder/Schreier, BB 2010, 2565, 2566). Insoweit gilt das Günstigkeitsprinzip, wobei es nur zu einer Kollision kommen kann, wenn der Arbeitsvertrag insoweit eine explizite Regelung enthält (BAG v. 3.6.2003 – 1 AZR 349/02).
Für den Arbeitgeber besteht bei einer Betriebsvereinbarung ferner der Nachteil, dass auch die nicht-mitbestimmungspflichtigen Teile der Compliance-Regeln der einseitigen Regelung per Direktionsrecht entzogen sind (Mengel/Hagemeister, BB 2007, 1386, 1391).
Schließlich kann mittels einer Betriebsvereinbarung auch keine Regelung von höchstpersönlichen Rechten erfolgen (Schröder/Schreier, BB 2010, 2565, 2566).
Rz. 17
Praxistipp
Der Arbeitgeber sollte lediglich eine Betriebsvereinbarung über die mitbestimmungspflichtigen Regelungsgegenstände abschließen und die verbleibenden Teile per Direktionsrecht erfassen (Schröder/Schreier, BB 2010, 2565, 2566; Vogt, NJOZ 2009 4206, 4209). Alternativ besteht für den Arbeitgeber die Möglichkeit, eine Betriebsvereinbarung zu kündigen und danach die mitbestimmungsfreien Teile neu per Direktionsrecht zu regeln, denn die Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG gilt lediglich für den mitbestimmungspflichtigen Teil einer Betriebsvereinbarung. Zudem haben die Betriebspartner die Möglichkeit, die Nachwirkung für mitbestimmungspflichtige Gegenstände auszuschließen (vgl. Henssler/Willemsen/Kalb/Gaul, Arbeitsrecht Kommentar, 9-. Aufl. 2020, § 77 BetrVG Rn 44; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, Betriebsverfassungsgesetz, 30. Aufl. 2020, § 77 Rn 180; Mengel/Hagemeister, BB 2007, 1386, 1391).