Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 165
Für Miet- und Pachtverträge über unbewegliches Vermögen gelten die Sondervorschriften der §§ 108 ff. InsO. Gemäß § 108 Abs. 1 InsO bestehen Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegenstände oder Räume mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. § 109 InsO betrifft die Insolvenz des Mieters bzw. Pächters, § 110 InsO die des Vermieters bzw. Verpächters.
Rz. 166
§ 108 InsO nimmt Miet- und Pachtverträge über unbewegliches Vermögen aus dem Anwendungsbereich des § 103 InsO heraus. Die Vorschrift ist im Zusammenhang mit § 55 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 InsO zu sehen, der die nach Verfahrenseröffnung fällig werdenden Ansprüche des anderen Teils zu Masseverbindlichkeiten erklärt, unabhängig davon, ob der Insolvenzverwalter die Gegenleistung tatsächlich in Anspruch nimmt. An die Stelle des Wahlrechtes nach § 103 InsO treten besondere Kündigungs- bzw. Rücktrittsrechte, vgl. § 109 InsO.
Rz. 167
In der Insolvenz des Vermieters besteht das Mietverhältnis nur dann mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort, wenn die Mietsache im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Mieter bereits überlassen worden ist. Hatte der Mieter oder Pächter im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vermieters den Besitz an der Mietsache aufgegeben, besteht ein bereits vollzogenes Mietverhältnis ebenfalls nicht mehr mit Massewirkung fort.
Rz. 168
In der Insolvenz des Schuldners als Mieter oder Pächter hat der Vermieter im Falle der Kündigung durch den Insolvenzverwalter keinen (als Masseverbindlichkeit zu befriedigenden) Anspruch darauf, dass der Insolvenzverwalter die Mietsache geräumt zurückgibt oder gar mietvertraglich vereinbarte Schönheitsreparaturen durchführt. Mit solchen Ansprüchen ist der Vermieter vielmehr als Insolvenzgläubiger auf die Quote zu verweisen. Etwas anderes gilt nur, wenn der Insolvenzverwalter selbst nach Verfahrenseröffnung Gegenstände in die gemieteten Räume verbracht hat oder diese für einen längeren Zeitraum – etwa im Rahmen einer Betriebsfortführung – für die Insolvenzmasse tatsächlich genutzt hat und hierbei Abnutzungen und Schädigungen der Mietsache entstanden sind. Hieraus erwachsen ggfls. nach allgemeinen Grundsätzen Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO).
Rz. 169
Rückständige Miet- und Pachtzahlungen sowie sonstige Ansprüche aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen einfache Insolvenzforderungen dar, vgl. § 108 Abs. 3 InsO.
Praxistipp
In Nachlassinsolvenzverfahren ist zuweilen zu beobachten, dass Erben oder an deren Stelle handelnde Nachlasspfleger vom Vermieter geforderte Entrümpelungsmaßnahmen ungeachtet der materiellen Insolvenzreife auf Kosten des Nachlasses durchführen lassen, um die Wohnung in vertragsgemäßem Zustand zurückzugewähren. Bei solchen Maßnahmen handelt es sich rechtlich um die Befriedigung einer Insolvenzforderung des Vermieters, die – bei nachweislicher Kenntnis des Vermieters von der Insolvenzreife – der Insolvenzanfechtung unterliegen kann. Unabhängig davon verstoßen solche Maßnahmen auch regelmäßig gegen das Einzelbefriedigungsverbot des § 1979 BGB und können dementsprechend Schadensersatzansprüche gegen die handelnden Personen auslösen, soweit die betreffende Leistung nicht im Wege der Insolvenzanfechtung vom Vermieter zurückgefordert werden kann.
Rz. 170
In der Insolvenz des Vermieters kann der Mieter von Wohnraum die von ihm geleistete Mietkaution nur dann aussondern, wenn der Vermieter sie von seinem Vermögen getrennt angelegt hat, anderenfalls ist der Anspruch auf vertragsgemäße Anlage der Mietsicherheit wie auch der Rückforderungsanspruch eine einfache Insolvenzforderung. Dem Mieter steht wegen der vertragswidrig nicht insolvenzfest angelegten Kaution kein Zurückbehaltungsrecht an rückständigen Mieten zu, allenfalls an der laufenden Miete.
Rz. 171
Auf Erbbaurechtsverträge findet § 108 InsO keine Anwendung, sodass Ansprüche auf Erbbauzinsen für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Masseverbindlichkeiten begründen.
Rz. 172
Miet- und Pachtverhältnisse über bewegliche Sachen und Rechte sind – mit Ausnahme der in § 108 Abs. 1 S. 2 InsO genannten finanzierten Leasingverträge – dem Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO unterworfen.
Rz. 173
§ 112 InsO enthält eine Kündigungssperre für den Fall des Verzugs mit der Miet- bzw. Pachtzahlung und dient dazu, wirtschaftliche Einheiten nicht zur Unzeit auseinanderzureißen. Ein Verstoß gegen § 112 InsO führt zur Nichtigkeit der ausgesprochenen Kündigung. Die Norm korrespondiert mit diversen anderen Vorschriften, die eine Zerschlagung organisatorisch-betrieblicher Einheiten verhindern und so eine Sanierung erhaltungswürdiger Betriebe oder Betriebsteile überhaupt erst ermöglichen. Mit Blick auf diesen Zweck ist § 112 InsO nach allgemeiner Auffassung analog auf Leasingverträge, Mietkaufverträge und sonstige Nutzungsüberlassungsverhältnisse – auch Verträge, die bewegliche Gegenstände betreffen – an...