Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 73
Gemäß § 134 Abs. 1 InsO ist eine unentgeltliche Leistung des Schuldners anfechtbar, es sei denn, sie ist früher als vier Jahre vor dem Insolvenzeröffnungsantrag vorgenommen worden. Der Begriff der Leistung ist denkbar weit auszulegen. Darunter ist grundsätzlich jede wie auch immer bewirkte Mehrung des Vermögens des Anfechtungsgegners aus dem Vermögen des Schuldners bzw. auf Kosten der späteren Insolvenzmasse zu verstehen.
Rz. 74
Eine Leistung ist unentgeltlich, wenn diese objektiv gegenleistungsfrei erfolgt ist oder jedenfalls nach dem Willen der Beteiligten sein sollte. Maßgebend ist die objektive Wertrelation zwischen der Leistung des Schuldners und der Gegenleistung des Empfängers, anderenfalls könnten die Beteiligten allein dadurch, dass sie einer für den Schuldner objektiv wertlosen Leistung in ihren rechtsgeschäftlichen Erklärungen einen subjektiven Wert beimessen, den Zweck des Gesetzes vereiteln.
Es ist nach objektiven Maßstäben aus der Sicht des Empfängers zu beurteilen, ob er eine Leistung des Schuldners erhalten hat.
Rz. 75
Eine Vereinbarung über die Unentgeltlichkeit i.S.v. § 516 Abs. 1 BGB ist nicht erforderlich. Verfolgt der Schuldner mit der Leistung mittelbar wirtschaftliche Interessen oder Vorteile, bleibt eine Zuwendung gleichwohl unentgeltlich, wenn der angestrebte Vorteil nicht in einer den Empfänger rechtsverbindlich verpflichtenden Weise vereinbart wurde. Die Erfüllung bestehender Unterhaltspflichten ist stets entgeltlich, ebenso wie sonstige Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen. Zuwendungen im familiären Bereich, die über gesetzlich bestehende Unterhaltspflichten hinausgehen, sind aber unentgeltlich. Dies gilt auch dann, wenn sie ausdrücklich als "Entgelt für die Führung des Haushaltes oder die Kinderbetreuung" durch den nicht erwerbstätigen Ehegatten bezeichnet werden.
Rz. 76
Zum Teil unentgeltliche Leistungen, sog. gemischte Schenkungen, können in einen unentgeltlichen, d.h. nach § 134 InsO anfechtbaren, und einen entgeltlichen Teil zerlegt werden. Allerdings ist nicht jede Veräußerung unter dem objektiven Verkehrs- oder Marktwert eine gemischte Schenkung. Erforderlich ist ein erhebliches Missverhältnis.
Im Zwei-Personen-Verhältnis ist eine Leistung unentgeltlich, wenn ein Vermögenswert des Verfügenden zugunsten einer anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem Verfügenden ein entsprechender Vermögenswert vereinbarungsgemäß zufließen soll.
Rz. 77
Nimmt der Schuldner irrtümlich an, zu einer Leistung verpflichtet zu sein, so steht ihm bzw. später dem Insolvenzverwalter ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 BGB zu. Der Empfänger ist von vornherein diesem Bereicherungsanspruch ausgesetzt. Insoweit fehlt es an einem freigiebigen Vermögensverlust des Schuldners, sodass § 134 InsO nicht einschlägig ist.
Rz. 78
Die Nachbesicherung einer entgeltlichen Verbindlichkeit ist stets entgeltlich, auch wenn kein Anspruch auf die Nachbesicherung bestand. Eine Anfechtung ist daher ggf. nur nach Maßgabe der §§ 130, 131, 133 InsO möglich. Die Sicherung einer unentgeltlichen Verpflichtung ist ihrerseits auch stets als unentgeltlich zu qualifizieren. Gleiches gilt im Grundsatz für die Sicherung einer fremden Schuld (etwa durch Bürgschaft), auch wenn die gesicherte Schuld im Verhältnis zum Primärschuldner entgeltlich begründet wurde. Die Bestellung einer Sicherheit für eigene, entgeltlich begründete, künftig entstehende Verbindlichkeiten ist ebenso entgeltlich wie die Abtretung einer Forderung erfüllungshalber zur Erfüllung entgeltlich begründeter, künftig entstehender Verbindlichkeiten.
Rz. 79
Zahlungen des späteren Insolvenzschuldners auf eine fremde Schuld sind im Verhältnis zum Gläubiger grundsätzlich nicht unentgeltlich, da Letzterer durch die Erfüllungswirkung der Zahlung eine Forderung verloren hat. Etwas anderes gilt aber, wenn die getilgte Forderung bereits objektiv wertlos war, weil der Dritte zur fraglichen Zeit bereits selbst materiell insolvenzreif war. Denn in solchen Fällen verliert der befriedigte Gläubiger bei wirtschaftlicher Betrachtung nichts, erbringt also objektiv keine Gegenleistung. In Nachlassinsolvenzen tritt diese Problematik relativ häufig in Konstellationen auf, in denen der Erblasser zugleich Gesellschafter/Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH/UG war und vor seinem Tod Verbindlichkeiten des Unternehmens – etwa zur Abwendung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen – aus seinem Privatvermögen beglichen hat. In solchen Fällen kann der spätere Nachlassinsolvenzverwalter gegenüber dem befriedigten Unternehmensgläubiger die Zahlung im Wege der Schenkungsanfechtung zurückfordern.
Rz. 80
Für den Gläubiger muss aber erkennbar sein, dass die erhaltene Leistung auch tatsächlich aus dem Eigenvermögen des Erblassers stammte, da aus seiner Perspektive (objektiver Empfängerhorizont) ansonsten auch eine Leistung der GmbH vorliegen könnte. An einer solchen Erkennbarkeit kann es z.B. fehlen, wenn die Leistung aus dem Privatvermögen...