Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 148
Die §§ 103–118 InsO regeln die materiellen Wirkungen der Verfahrenseröffnung auf laufende Verträge des Schuldners. Während diese Normen, die gem. § 119 InsO nicht vertraglich abdingbar sind, in Unternehmensinsolvenzen zuweilen als das "Herzstück" des materiellen Insolvenzrechtes bezeichnet werden, spielen diese Vorschriften in der Mehrzahl der Nachlassinsolvenzen eine eher untergeordnete Rolle, jedenfalls in den typischen Fällen, in denen kein Unternehmen mit laufendem Geschäftsbetrieb zum Nachlass gehört und der Nachlass eine weitgehend statische Struktur aufweist. Letzteres ist insbesondere in Fällen zu beobachten, in denen der Erbfall bei Verfahrenseröffnung schon längere Zeit zurückliegt. Dann finden sich in Nachlassinsolvenzen typischerweise allenfalls noch vereinzelt laufende Verträge, für die dann die §§ 103 ff. InsO zu beachten sind. Aus diesem Grund werden die gesetzlichen Regelungen nachfolgend jeweils nur in Grundzügen erläutert und wird im Übrigen auf die ausführlichen Gesetzeskommentierungen verwiesen.
1. Erfüllungs-/Nichterfüllungs-Wahlrecht des Insolvenzverwalters
Rz. 149
§ 103 InsO gewährt dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht, ob er einen gegenseitigen Vertrag, der zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung nicht oder nicht vollständig erfüllt ist, erfüllen oder ablehnen will. § 103 InsO hemmt – ggf. vorübergehend – die Durchsetzbarkeit gegenseitiger Verträge. Die Norm betrifft gegenseitige Verträge i.S.d. §§ 320 ff. BGB, die zur Zeit der Verfahrenseröffnung auf beiden Seiten noch nicht vollständig erfüllt sind. Während der BGH früher davon ausging, dass auch nur ausstehende Nebenleistungen die Annahme einer vollständigen Erfüllung hindern können, muss es sich nach der neueren BGH-Rechtsprechung bei den ausstehenden Leistungen um im Synallagma stehende Hauptleistungspflichten handeln.
Rz. 150
§ 103 InsO schafft mit Verfahrenseröffnung eine Schwebephase, in der der Gläubiger weder insolvenzbedingt kündigen noch seine Ansprüche gegen die Insolvenzmasse durchsetzen kann. Die Norm ermöglicht es dem Verwalter, einen von keiner Seite bereits vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrag, ggf. nach einer gewissen Bedenkzeit, zum Vorteil der Masse und damit der Gläubigergesamtheit auszuführen. Die Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters hat die Wirkung, dass den Ansprüchen des anderen Teils auf Leistungen des Schuldners sowie den Ansprüchen des Schuldners auf die entsprechende Gegenleistung die Rechtsqualität von originären Masseverbindlichkeiten und Masseforderungen beigelegt wird.
Hinweis
Ausschlaggebendes Kriterium für die Erfüllungswahl ist regelmäßig die Frage, ob der Wert der noch ausstehenden Leistung des Gläubigers höher ist als der Aufwand, den der Insolvenzverwalter ggfls. zur Erfüllung der restlichen Leistungspflicht des Schuldners betreiben müsste. Ist der Wert der Leistung des Gläubigers für die Masse höher, kann der Insolvenzverwalter die Wertdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung für die Insolvenzmasse realisieren.
Rz. 151
Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, hat der Vertragspartner endgültig keinen durchsetzbaren Anspruch gegen die Insolvenzmasse. Ihm bleibt dann nur, seine Forderung einschließlich etwaiger Sekundäransprüche auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung als Insolvenzgläubiger gem. § 38 InsO zur Insolvenztabelle anzumelden, vgl. § 103 Abs. 2 S. 1 InsO.
Rz. 152
Wurde die Forderung des anderen Teils bereits vorinsolvenzlich vollständig (vom Erben oder Erblasser) befriedigt, ist also lediglich der Anspruch der Insolvenzmasse noch nicht vollständig erfüllt, steht der Insolvenzmasse selbstverständlich der vertragliche Erfüllungsanspruch zu. Hatte der Vertragspartner vor Eröffnung schon voll geleistet, steht also lediglich der Anspruch des Gläubigers offen, handelt es sich in jedem Fall nur um eine normale Insolvenzforderung.
Rz. 153
Eine Frist, innerhalb der der Verwalter sein Erfüllungswahlrecht auszuüben hat, gibt es nicht. Will der Gläubiger schnellstmöglich Klarheit, muss er den Verwalter gem. § 103 Abs. 2 S. 2 InsO explizit auffordern, sich unverzüglich, d.h. spätestens nach einer kurzen Bedenkzeit von maximal ein paar Tagen, zu erklären.
Rz. 154
Das Wahlrecht kann formlos und konkludent ausgeübt werden. Es handelt sich um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die mit Zugang (§ 130 Abs. 1 BGB) wirksam wird, nicht unter eine Bedingung gestellt werden kann und im Irrtumsfall nach allgemeinen Grundsätzen gem. §§ 119 ff., 142 ff. BGB angefochten werden kann.
Rz. 155
Auf den vorläufigen Insolvenzverwalter ist § 103 InsO nicht entsprechend anwendbar, auch nicht auf den "starken" vorläufigen Insolvenzverwalter.
2. Termingeschäfte
Rz. 156
Gemäß § 104 InsO gilt § 103 InsO nicht für bestimmte Fix- oder Termingeschäfte, i...