Rz. 33

Der sog. Familiennachzug im Aufenthaltsrecht ist im 6. Kapitel des Aufenthaltsgesetzes in den §§ 27 bis 36 geregelt und umfasst nicht nur den wörtlichen Nachzug in Form einer Einreise zur Familie nach Deutschland, sondern adressiert auch diejenigen Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die bereits in Deutschland leben und nunmehr ein Aufenthaltsrecht aufgrund ihrer familiären Anbindung in Deutschland begehren.

 

Rz. 34

Daneben ist das Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen ganz maßgeblich vom deutschen Verfassungsrecht, dem Unionsrecht und dem Völkerrecht geprägt:

 

Rz. 35

Art. 6 GG schützt insofern auch Ehe und Familie von ausländischen Staatsangehörigen und begründet dabei zwar kein generelles Recht auf Einreise und Aufenthalt, ist aber regelmäßig bei der Auslegung des Aufenthaltsgesetzes und insbesondere bei Ermessensspielräumen zu berücksichtigen.[4] Indem Art. 6 GG nicht nur die Ehe als solche, sondern auch die Eheschließungsfreiheit schützt, kann bereits aus dem Grundgesetz das Recht auf eine Einreise zur Eheschließung[5] sowie ein Schutz vor einer Abschiebung im Fall einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung abgeleitet werden (§ 60a Abs. 2 AufenthG). Nicht geschützt von Art. 6 GG sind Mehrehen, auch wenn sie nach dem Recht des Herkunftsstaates erlaubt sind.

 

Rz. 36

Aus dem Unionsrecht ist, neben Art. 7 GRCh, insbesondere die Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG zu beachten. Daneben ergeben sich aus Art. 8 EMRK und der zugehörigen Rechtsprechung des EGMR relevante Vorgaben, die ebenfalls im Rahmen der §§ 27 ff. AufenthG zu berücksichtigen sind. Auch der EGMR hat wiederholt betont, dass Art. 8 EMRK kein prinzipielles Recht auf Einreise und Aufenthalt begründet, die Norm jedoch bei jeglichen aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen und vor einer Abschiebung zu beachten ist. Im Gegensatz zu Art. 6 GG knüpft Art. 8 EMRK weniger an formale Kriterien an, sondern schützt umfassend jegliche "soziale und moralische und kulturelle Beziehungen zwischen Familienangehörigen"[6] – daraus kann sich ein weitergehender Schutz u.a. etwa bei Kindschaftsverhältnissen ergeben, die sich nicht auf ein Sorgerecht gründen,[7] oder bei volljährigen und damit bereits selbstständigen Kindern.[8]

 

Rz. 37

Zwei Aspekte sind nach der gesetzlichen Systematik im Rahmen einer Beratung und Vertretung von vorrangiger Bedeutung: Wie stellt sich das Verhältnis zu der familiären Bezugsperson – dem sog. Stammberechtigten – dar? Und: Welchen Aufenthaltsstatus hat dieser sog. Stammberechtigte?

 

Rz. 38

Ausgangspunkt ist zunächst der Nachweis der familienrechtlichen Beziehungen zum Stammberechtigten, was grundsätzlich zunächst durch Urkunden erfolgt. Liegen ausländische Urkunden vor, ist ein Vermerk der ausländischen Behörde in Form einer sog. Apostille anstelle einer Legalisation ausreichend, wenn die Urkunde aus einem Staat stammt, der dem Haager Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation beigetreten ist.[9] Das Aufenthaltsgesetz schützt aber grundsätzlich nicht das rein formale Verhältnis zwischen zwei Personen, etwa in Form einer Eheschließung oder eines formalen Kindschaftsverhältnisses, sondern begründet nur dann ein Aufenthaltsrecht, wenn eine tatsächliche familiäre Lebensgemeinschaft vorliegt. Insofern formuliert § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG, dass der Familiennachzug dann nicht zugelassen wird, wenn "feststeht, dass die Ehe oder das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen". Äußerst praxisrelevant ist demzufolge die Prüfung, ob eine sog. Scheinehe vorliegt: Eine solche Prüfung obliegt bei konkreten Anhaltspunkten im Fall einer Eheschließung in Deutschland bereits dem Standesamt (§ 1310 Abs. 1 BGB), kann aber sodann auf der Grundlage von § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG auch durch die Ausländerbehörde erfolgen. Die Ausländerbehörde darf nicht in jedem Fall, sondern nur anhand von sich aufdrängenden Zweifeln eine weitergehende Prüfung durchführen, etwa wenn die Ehepartner nicht an einem Ort wohnen oder nicht die gleiche Sprache sprechen.[10] Wenngleich der Wortlaut und die Praktikabilität nahelegen, dass die Beweislast in diesem Fall bei der Ausländerbehörde liegt – da das Vorliegen einer familiären Lebensgemeinschaft als Beistandsgemeinschaft tatsächlich schwer nachweisbar ist –, geht das Bundesverwaltungsgericht von einer Beweislast der Ehepartner aus;[11] in der Praxis sind die Mandanten jedenfalls darauf hinzuweisen, dass sie tragfähige und anschauliche Argumente dafür vortragen sollten, dass sie tatsächlich ein Paar sind. Im Rahmen von Ermittlungen und Befragungen ist freilich zu berücksichtigen, dass keine intimen Details verlangt werden können.[12]

 

Rz. 39

Für den Fall der Vaterschaft ist in § 85a AufenthG ein eigenständiges Verfahren eingeführt worden, wie im Fall von konkreten Anhaltspunkten einer "missbräuchlichen" Vaterschaftsanerkennung vorzugehen i...

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