Rz. 73
Nach § 2287 BGB kann der Vertragserbe oder der Schlusserbe bei einem bindend gewordenen gemeinschaftlichen Testament nach dem Anfall der Erbschaft vom Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften der §§ 812 ff. BGB verlangen, wenn der Erblasser mit der Schenkung die Stellung des Vertragserben beeinträchtigt hat. Objektiv muss die Schenkung zu einer Minderung des Nachlasses geführt haben. Subjektiv muss die Zuwendung mit Beeinträchtigungsabsicht erfolgen, wobei die h.M. die Beeinträchtigungsabsicht anhand einer Missbrauchskontrolle prüft und diese bejaht, wenn der Erblasser kein lebzeitiges Eigeninteresse an der Schenkung hatte. An einer Beeinträchtigung des Vertragserben kann es jedoch fehlen, wenn der Erblasser eine Schenkung an einen Abkömmling mit einer Ausgleichsbestimmung nach § 2050 BGB versehen hat.
Rz. 74
Nach Ansicht des BGH bleibt für die Anwendung der Vorschrift des § 2287 BGB kein Raum, wenn die beeinträchtigende Schenkung aufgrund einer Ausgleichsbestimmung (§ 2050 BGB) zu einer entsprechenden Berücksichtigung im Erbfall führt. Wurde die Schenkung daher mit einer Anrechnungsbestimmung (§ 2050 Abs. 3 BGB) versehen und ist ausreichend Nachlass vorhanden, so fehlt es nach Auffassung der Rechtsprechung an einer Beeinträchtigung. Durch die Modifizierung des Teilungsquotienten wird eine Umverteilung korrigiert. Lediglich soweit eine derartige Gleichstellung der Parteien mit Hilfe der Ausgleichung noch nicht erreicht werden kann (weil der Nachlass dafür nicht ausreicht), kommt § 2287 BGB ("wegen des Mehrbetrages") überhaupt nur in Betracht. Für § 2287 BGB kommt daher von vorneherein nur der Mehrbetrag in Frage, um den der Wert der dem Abkömmling gemachten Zuwendung (berechnet nach den Wertverhältnissen zur Zeit der Zuwendung unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes, vgl. BGHZ 65, 75, 77) den ihm zukommenden Anteil am Nachlass übersteigt.
Rz. 75
Fraglich ist allerdings die konkrete Berechnung des sogenannten "Mehrbetrages" auf den bezogen ein bereicherungsrechtlicher Anspruch nach § 2287 BGB gegeben sein kann. Ist hinreichend Nachlass vorhanden, führt die Ausgleichung zur entsprechenden gerechten Umverteilung. Ist nicht hinreichend Nachlass vorhanden, entspricht der nach § 2056 BGB nicht auszugleichende Betrag dem bereicherungsrechtlichen Anspruch. Erbt neben den Abkömmlingen ein weiterer Vertragserbe, ist sein bereicherungsrechtlicher Anspruch von dem Ausgleichsbetrag bei der Berechnung des Ausgleichsnachlasses abzuziehen.
Rz. 76
Beispiel 1 (Ausreichender Nachlass)
Erblasser E hat ein Vermögen mit einem Wert von 800.000 EUR und die zwei Abkömmlinge A und B, die vertragsmäßig zu je ½ zu Erben eingesetzt wurden. E schenkt A zu Lebzeiten von seinem Vermögen 200.000 EUR mit Anrechnungsbestimmung nach § 2050 Abs. 3 BGB.
Nachlass |
600.000 EUR |
Vorempfang |
200.000 EUR |
Ausgleichsnachlass |
800.000 EUR |
Erbteil A 400.000 – 200.000 |
200.000 EUR |
Erbteil B |
400.000 EUR |
Beispiel 2 (Keine Nachschusspflicht nach § 2056 BGB)
Erblasser E schenkt A im obigen Beispiel zu Lebzeiten von seinem Vermögen 600.000 EUR mit Anrechnungsbestimmung nach § 2050 Abs. 3 BGB.
Nachlass |
200.000 EUR |
Vorempfang |
600.000 EUR |
Ausgleichsnachlass |
800.000 EUR |
Erbteil A 400.000–600.000 |
0 EUR |
Erbteil B |
200.000 EUR |
Den Differenzbetrag von 200.000 EUR, den A aufgrund § 2056 BGB nicht in den Nachlass zahlen muss, kann B nach §§ 2287, 812 BGB von A herausverlangen.
Beispiel 3 (Ehepartner erbt neben Abkömmlingen)
Erblasser E hat ein Vermögen mit einem Wert von 800.000 EUR, den Ehepartner F, den er vertragsmäßig zu ½ und die zwei Abkömmlinge A und B, die vertragsmäßig zu je ¼ zu Erben eingesetzt hat. E schenkt A zu Lebzeiten von seinem Vermögen 200.000 EUR mit Anrechnungsbestimmung nach § 2050 Abs. 3 BGB.
Nachlass |
600.000 EUR |
Anteil F |
300.000 EUR |
Ausgleichsnachlass |
300.000 EUR |
Vorempfang |
100.000 EUR |
Ausgleichsnachlass |
400.000 EUR |
Erbteil A 200.000–100.000 |
100.000 EUR |
Erbteil B |
200.000 EUR |
Da A von seinem Vorempfang an F ebenfalls 100.000 EUR nach §§ 2287, 812 BGB ausgleichen muss, darf die Zuwendung nur in dem Differenzbetrag dem Ausgleichsnachlass hinzugerechnet werden, da A ansonsten weniger erhalten würde, als wenn er den ausgleichspflichtigen Vorempfang nicht erhalten hätte.