Prof. Dr. Christian Döring, Dr. Mario Leggio
Rz. 53
In vielen Fällen bestellt der Gewerkeunternehmer das von ihm benötigte Material nicht per "Katalog", was zwanglos die Anwendung des Kaufvertragsrechts nach sich ziehen würde, sondern gibt dem Lieferanten Vorgaben an die Hand, nach denen das von ihm benötigte Bauelement oder der Baustoff herzustellen ist. Bei dieser Konstellation, nach der der Baustofflieferant die vom Gewerkeunternehmer benötigten Sachen neu herstellt oder neu erzeugt, ist von einem Werklieferungsvertrag auszugehen, beispielsweise beim Fertigen von Lichtschachtelementen aus Beton nach den Größenangaben des Rohbauunternehmers oder beim Herstellen von Fertigteildecken, die dann vom Rohbauunternehmer vor Ort aufbetoniert werden. Diese Werklieferungsverträge über herzustellende oder neu zu erzeugende bewegliche Sachen unterscheiden sich vom Kaufrecht dadurch, dass sich hier der Lieferant verpflichtet, eine von ihm erst noch herzustellende oder zu erzeugende bewegliche Sache zu liefern, wohingegen der Verkäufer lediglich die Beschaffung einer fertigen Sache schuldet, gegebenenfalls mit kleineren Änderungen (z.B. Griffe an den Türen einer Einbauküche) oder Nebenleistungen (Montage) nebst deren Übereignung. Beim Werklieferungsvertrag wird demgegenüber entsprechend dem Werkvertrag eine Verpflichtung des Lieferanten zur Herstellung eines körperlichen Arbeitserfolges für den Besteller geschuldet. Andererseits ist von einem Werkvertrag, der nicht unter § 650 BGB fällt, auszugehen, wenn der Unternehmer und der von ihm geschuldete Erfolg dem Vertrag das typische Gepräge gibt und über die Herstellung einer beweglichen Sache hinausgeht, etwa wenn die herzustellende Sache in ein Gesamtwerk einzupassen ist (Herstellung und der Einbau einer Treppe in ein Gebäude) oder es um die Herstellung einer Funktionsfähigkeit des Gesamtwerkes geht (Klimatisierung eines Gebäudes mit Kälteaggregat und Lüftungskanälen usw.), bzw. Arbeiten an einem Grundstück sowie Arbeiten an Gebäuden, mag damit auch im Übrigen die Herstellung einer beweglichen Sache verbunden sein. Grund für diese Neuregelung des Werklieferungsvertrages mit der Schuldrechtsmodernisierung in § 650 BGB war die Anpassung des geltenden Rechts bei Verbraucherverträgen über die Lieferung neu hergestellter beweglicher Sachen an die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und damit dem Unterwerfen dieser Verträge unter das Kaufrecht.
Rz. 54
Für die Einordnung eines Lieferantenvertrages als Werklieferungsvertrag kommt der Unterscheidung der herzustellenden Sache als vertretbar/nicht vertretbar keinerlei entscheidende Bedeutung mehr zu, auch nicht bei Verträgen über die Herstellung oder Erzeugung nicht vertretbarer Sachen, die nach den Bestellerwünschen in der Herstellung angepasst wurden und deshalb individualisiert sind. Obwohl sie nicht austauschbar und für den Unternehmer im Regelfall nicht anderweitig absetzbar sind (Einbaumöbel, Einbauküchen nach den besonderen Wünschen des Bestellers), gilt grundsätzlich das Kaufrecht jedoch mit der Besonderheit, dass einzelne werkvertragliche Bestimmungen zusätzlich anzuwenden sind, allerdings mit der Maßgabe, dass bei den anwendbaren Bestimmungen §§ 642, 643, 645, 648 und 649 BGB gem. § 650 Abs. 1 S. 3 BGB an die Stelle der Abnahme der nach den §§ 446 und 447 BGB maßgebliche Zeitpunkt tritt.
Rz. 55
I.d.R. unterliegen somit die Verträge der Baustoff- und Bauelementeverschaffung dem Kaufrecht. Es handelt sich darüber hinaus regelmäßig um Handelskaufverträge, sodass die handelsrechtlichen Rügepflichten besondere Bedeutung gewinnen, und zwar auch beim Beschaffungskauf über nicht vertretbare Baustoffe und -elemente.
Rz. 56
Da bei Werklieferungsverträgen über nicht vertretbare Sachen der Lieferant sich verpflichtet, einen Baustoff unter Berücksichtigung bestimmter Bestellerwünsche und -angaben herzustellen, somit werkvertragliche Elemente eine Rolle spielen, gibt § 650 BGB vor, dass einzelne Bestimmungen des Werkvertragsrechts auch bei diesen Beschaffungskaufverträgen Anwendung finden. Ein derartiger Beschaffungsvertrag kann vom Besteller gem. § 648 BGB jederzeit gekündigt werden, ebenso wie der Lieferant die Möglichkeit hat, von den §§ 642 und 643 BGB Gebrauch zu machen, etwa dann, wenn der Besteller die erforderliche Mitwirkungshandlung zum Herstellen dieser unvertretbaren Sache unterlässt. Von Bedeutung ist jedoch, dass trotz Geltung einzelner werkvertraglicher Bestimmungen es beim Abnahmezeitpunkt entsprechend den §§ 446 und 447 BGB verbleibt. Die Schuldrechtsmodernisierung hat damit auch im Bereich des Beschaffungswesens der Bauhandwerker zu einer erheblichen Ausweitung der Anwendung des Kaufrechts geführt. Das neue Bauvertragsrecht hat insoweit keine inhaltlichen Änderungen formuliert.