Prof. Dr. Christian Döring, Dr. Mario Leggio
Rz. 9
Das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts hatte (zunächst) nicht nur einen im Kauf- und Werkvertragsrecht einheitlichen, dreistufigen Begriff des Sachmangels hervorgebracht, sondern auch eine Anpassung des Kaufrechts an das Leistungsstörungsrecht des allgemeinen Schuldrechts. Den 20 Jahre währenden einheitlichen Sachmangelbegriff haben das Kauf- und das Werkvertragsrecht zwischenzeitlich allerdings wieder eingebüßt, da (u.a.) die kaufrechtlichen Vorschriften über den Sachmangel in § 434 BGB mit Wirkung zum 1.1.2022 durch das Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrages reformiert wurden. Diese Reform diente der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie (WKRL). Gem. Art. 229 § 58 EGBGB sind auf einen Kaufvertrag, der vor dem 1.1.2022 geschlossen worden ist, die Vorschriften des BGB in der bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung anzuwenden.
Rz. 10
Hauptpflicht des Verkäufers ist es auch nach der zum 1.1.2022 in Kraft getretenen Reform, dem Käufer die Sache frei von Rechts- und Sachmängeln zu verschaffen, somit das Eigentum zu übertragen und den Besitz einzuräumen. Die Bedeutung einer Gattungsschuld gem. § 243 BGB, wonach der Verkäufer bei einer nur der Gattung nach bestimmten Sache eine solche von mittlerer Art und Güte zu leisten hat, gewinnt nur noch im Rahmen des Leistungsstörungsrechts bis zur Übergabe der Kaufsache an Bedeutung. Für die Rechte des Käufers kommt der Unterscheidung zwischen Stück- und Gattungskauf keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu. In erster Linie gehen die Rechte des Käufers nun auf Nacherfüllung in Form der Nachbesserung oder Ersatzlieferung (vgl. §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB), woraus ein Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung abgeleitet wird. Für den Fall des Scheiterns der Nacherfüllung, da diese erfolglos, dem Verkäufer unzumutbar oder auch unmöglich ist, kann der Käufer die Gestaltungsrechte des Rücktritts oder der Minderung ausüben. Wahlweise und kumulativ kann der Käufer auch, wenn die weiteren Voraussetzungen des Verschuldens vorliegen, Schadensersatz verlangen, alternativ hierzu den Ersatz vergeblicher Aufwendungen (vgl. §§ 284, 437 Nr. 2, 3 BGB).
Rz. 11
Die Rechtsfolgen für eine mangelhafte Lieferung seitens des Verkäufers enthalten bezüglich eines Sach- und eines Rechtsmangels bereits seit der Schuldrechtsreform des Jahres 2002 keine Unterschiede mehr. Die zum 1.1.2022 in Kraft getretene Reform hat hieran nichts geändert. Ab Gefahrübergang gelten die §§ 437 – 441 BGB. Im Vorfeld des Gefahrübergangs gilt das Recht der allgemeinen Leistungsstörung nach den §§ 275 ff. BGB.
Rz. 12
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorhandenseins eines Sachmangels ist der Zeitpunkt des Gefahrübergangs. Dies ist regelmäßig der Zeitpunkt der Übergabe (§ 446 S. 1 BGB), sofern nicht Annahmeverzug vorliegt. Bei beweglichen Sachen ist also der Zeitpunkt der Ablieferung als spätester Zeitpunkt von Bedeutung (vgl. § 438 Abs. 2 BGB), was bei Baustoffen und Bauteilen oft der Fall sein wird, nämlich dann, wenn diese bestimmungsgemäß am Ort des Bauvorhabens dem Käufer zur Verfügung gestellt werden.
Rz. 13
Im Hinblick auf "Altfälle", für die § 434 BGB in der bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung maßgeblich bleibt und die dem Rechtsanwender in der Praxis durchaus noch begegnen werden, gilt: Die Beurteilung der Frage nach dem Vorliegen eines Sachmangels erfolgt auf der Grundlage der in § 434 Abs. 1 BGB a.F. enthaltenen und auch im Werkvertragsrecht (vgl. § 633 Abs. 2 BGB) zu findenden dreistufigen Mangeldefinition. Nach dem in § 434 Abs. 1 BGB a.F. normierten Stufenverhältnis kommt es in erster Linie auf die vereinbarte Beschaffenheit, in zweiter Linie auf die Eignung zum vertraglich vorausgesetzten Gebrauch und erst auf der dritten Stufe auf die Eignung zur gewöhnlichen Verwendung an. Der kaufvertragliche Begriff des Sachmangels wird in § 434 Abs. 2 BGB a.F. auf den Montagemangel sowie die mangelhafte Montageanleitung und in § 434 Abs. 3 BGB a.F. auf die Falschlieferung und die Mindermenge ausgedehnt.
Rz. 14
Da § 434 BGB seit dem 1.1.2002 (bis zum 31.12.2021) in seinem Abs. 3 sowohl die Falschlieferung als auch die Mindermenge speziell regelte und diese Regelungen auch auf den Handelskauf anwendbar sind bzw. waren, bedurfte es § 378 HGB a.F., der die Untersuchungs- und Rügepflichten des § 377 HGB auf die Falschlieferung und auf Mengenfehler ausdehnte, nicht mehr; § 378 HGB wurde daher mit Wirkung zum 1.1.2002 aufgehoben.