Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 6
Die Verfahrensgebühr entsteht "für das Betreiben des Geschäfts" und ist somit eine typische so genannte allgemeine Betriebsgebühr. Da sie eine Pauschgebühr ist, werden durch sie alle Tätigkeiten des RA in der Angelegenheit vergütet, die in § 19 RVG als zum Rechtszug gehörend bezeichnet werden.
Die Verfahrensgebühr gilt die gesamte Tätigkeit des RA in einem Rechtszug ab, außer wenn das RVG besondere Gebühren für eine bestimmte Tätigkeit vorsieht (z. B. Terminsgebühr, Einigungsgebühr, Beweisgebühr, Hebegebühr). Mit der Verfahrensgebühr werden im Einzelnen beispielsweise folgende Tätigkeiten des RA vergütet:
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dass der RA sich über den Streitstoff informiert, |
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dass er den Mandanten während des gesamten Verfahrens berät, |
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dass er Schriftsätze anfertigt und absendet, |
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beim Einwohnermeldeamt anfragt wegen der Anschrift des Gegners, |
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Anträge stellt, |
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Beweismittel angibt, |
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den Prozess führt oder auch |
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die Klage zurücknimmt. |
Die Verfahrensgebühr entsteht, sobald der RA irgendeine Tätigkeit als Prozessbevollmächtigter entfaltet hat. Im Normalfall hat er sie also bereits mit der Entgegennahme der ersten Information von seinem Auftraggeber verdient. Damit sie in voller Höhe entsteht, muss der RA des Klägers allerdings die Klageschrift bei Gericht eingereicht haben bzw. der RA des Beklagten einen Schriftsatz mit Anträgen; ansonsten erhält er wegen vorzeitiger Beendigung des Auftrages nur eine verminderte Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3101 Ziff. 1 VV RVG (siehe Rdn 26 f.).
Rz. 7
Im Zivilprozess gelten in der ersten Instanz für die Verfahrensgebühr die folgenden Gebührensätze:
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In der Regel erhält der RA eine 1,3 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG. |
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Bei vorzeitiger Beendigung des Auftrages wird der Gebührensatz vermindert auf eine 0,8 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3101 Ziff. 1 VV RVG (siehe Rdn 26 f.). Eine 0,8 Verfahrensgebühr entsteht auch bei Einbeziehung nicht rechtshängiger Ansprüche in einen gerichtlichen Vergleich nach Nr. 3101 Ziff. 2 VV RVG (siehe Rdn 28 ff.). |
Es ist unmöglich, dass in einem gerichtlichen Verfahren eine Terminsgebühr, eine Beweisgebühr oder die Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG anfällt, ohne dass gleichzeitig eine Verfahrensgebühr entsteht. Die Verfahrensgebühr muss als allgemeine Betriebsgebühr auf jeden Fall erwachsen, bevor eine der anderen Gebühren zur Entstehung gelangen kann. Ebenso kann der Gegenstandswert der Verfahrensgebühr – mit Ausnahme des Falles der Einbeziehung nicht rechtshängiger Ansprüche in einen gerichtlichen Vergleich – nicht unter dem Wert der Terminsgebühr, der Beweisgebühr oder der Einigungsgebühr liegen.
Der Gegenstandswert der Verfahrensgebühr ergibt sich aus der Summe der Ansprüche, die gleichzeitig oder nacheinander in dem Prozess geltend gemacht werden. Man muss also die Werte der einzelnen Ansprüche zusammenzählen (§ 22 Abs. 1 RVG).
Rz. 8
Wird im Laufe des Verfahrens der Gegenstandswert erhöht, was z. B. durch Klageerweiterung der Fall sein kann, dann wird die Verfahrensgebühr nach dem höheren Gegenstandswert berechnet. Dagegen wirkt es sich auf eine bereits entstandene Verfahrensgebühr nicht aus, wenn der Gegenstandswert später z. B. durch Teilzahlung des Beklagten vermindert wird. Halten wir also fest: Gebührenstreitwert für die Verfahrensgebühr ist der Streitwert, wegen dessen der RA insgesamt Prozessauftrag erhält und die Klage einreicht bzw. tätig wird (vgl. § 3 Rdn 63 ff.).
Beispiel:
Klage wegen Forderung von 5.000,00 EUR wird eingereicht. Vor dem ersten Verhandlungstermin zahlt der Schuldner 1.000,00 EUR. Wegen der verbleibenden 4.000,00 EUR wird streitig verhandelt. Im zweiten Verhandlungstermin wird die Klage um 2.000,00 EUR erhöht. Obwohl der Rechtsstreit jetzt nur noch wegen 6.000,00 EUR geführt wird, berechnet sich die Verfahrensgebühr nach 7.000,00 EUR (5.000,00 EUR + 2.000,00 EUR).
Rz. 9
Von der Klageänderung bzw. Klageerweiterung zu unterscheiden ist der Fall der Wertänderung des Streitgegenstandes, der ansonsten unverändert bleibt. Wenn der Streitgegenstand derselbe bleibt und nur sein Wert sich verändert, dann ist nach § 40 GKG für die Wertberechnung der Zeitpunkt der Einreichung der Klage maßgeblich.
Beispiel:
Klage auf Herausgabe von Aktien. Bei Klageeinreichung stand der Börsenkurs für die Aktie bei 100,00 EUR. Bei Urteilsverkündung war der Kurs 120,00 EUR. Zur Feststellung des Gebührenstreitwertes nimmt man den Kurs von 100,00 EUR.
Die Wertänderung muss also von der Klageerweiterung oder Klageermäßigung unterschieden werden, da in diesen Fällen sich nicht der Wert, sondern der Klagegegenstand ändert.
Zur weiteren Verfahrensgebühr ("Differenz-Verfahrensgebühr") gemäß Nr. 3101 Ziff. 2 VV RVG und der Terminsgebühr ("Differenz-Terminsgebühr") bei Einbeziehung nicht rechtshängiger Ansprüche in einen gerichtlichen Vergleich siehe Rdn 28 ff. und § 2 Rdn 175.
Merke:
In jedem Prozess muss dem Prozessbevollmächtigten zumindest die Verfahrensgebühr als allgemeine Betriebsgebühr erwachsen.
Bei vorzeitiger Beendigung des Auftrages gibt es nur eine vermind...