Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
Rz. 622
Die Voraussetzungen des § 2287 BGB sind das Vorliegen einer objektiven Beeinträchtigung des Vertrags- oder Schlusserben sowie einer Beeinträchtigungsabsicht (subjektiver Tatbestand). § 2287 BGB findet Anwendung auf Schenkungen, gemischte Schenkungen und Auflagenschenkungen und wohl auch auf ehebezogene Zuwendungen. Bei der Prüfung, ob eine (gemischte) Schenkung vorliegt, sind bei Grundstücksübergaben u.a. auch ein vorbehaltener Nießbrauch sowie eine übernommene Pflegeverpflichtung zu berücksichtigen. Eine objektive Beeinträchtigung liegt jedoch dann nicht vor, wenn:
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das Testament einen ausreichenden Änderungsvorbehalt bzw. eine Freistellungsklausel vorgesehen hat |
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eine echte Wertverschiebung nicht erfolgte |
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die Zuwendung im Rahmen einer vorweggenommenen Vermächtniserfüllung erfolgte. |
Rz. 623
Soweit der Empfänger Pflichtteilsberechtigter war und soweit sein Pflichtteilsanspruch besteht, ist eine Herausgabe nicht möglich bzw. liegt eine objektive Beeinträchtigung nur in Höhe der Differenz vor. Überwiegt der Wert des Geschenks, hat eine Herausgabe Zug um Zug gegen Zahlung des Pflichtteils zu erfolgen, im anderen Fall kann der Vertragserbe nur Zahlung des Betrags verlangen, um den der Wert des Geschenks den Pflichtteil übersteigt. Ist die Zuwendung an einen Miterben erfolgt, liegt nur eine objektive Beeinträchtigung in Höhe der Differenz zwischen der Quote des Miterben zu den Quoten der übrigen Erben vor.
Rz. 624
Im subjektiven Tatbestand setzt § 2287 BGB die Beeinträchtigungsabsicht voraus. Die Absicht des Erblassers, dem Vertrags- oder Schusserben die Erbeinsetzung zu entziehen oder zu verringern, muss nicht der ausschließliche Grund der Schenkung sein. Nach früherer Rechtsprechung musste die Beeinträchtigung des Vertragserben der bestimmende Beweggrund für die Schenkung sein. Nicht zuletzt angesichts der Beweisschwierigkeiten, vor die sich ein Vertragserbe hierbei gestellt sah, hat der BGH diese Rechtsprechung der sog. Aushöhlungsnichtigkeit in seiner Grundsatzentscheidung vom 5.7.1972 aufgegeben und den Tatbestand des § 2287 BGB über den Wortlaut der Vorschrift hinaus neu bestimmt.
Rz. 625
An das Vorliegen der Benachteiligungsabsicht werden demnach nur noch sehr geringe Anforderungen gestellt. Es ist nicht erforderlich, dass der Erblasser böswillig handelt, vielmehr genügt sein Wissen darum, dass er durch die unentgeltliche Weggabe das Erbe schmälert. Die Rechtsprechung geht somit von einer weiten Interpretation des Begriffes der Benachteiligungsabsicht aus. Als zusätzliches (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal bedarf es seither jedoch einer Missbrauchsprüfung, bei welcher anhand objektiver Kriterien Rückschlüsse auf die subjektive Einstellung des Erblassers gezogen werden müssen. Die entscheidende Frage lautet hierbei, ob die Schenkung ihrem Gehalt nach auf eine Korrektur des Erbvertrages angelegt war, was dann zu bejahen ist, wenn der Erblasser ohne ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse wesentliche Vermögenswerte anstelle des Bedachten unentgeltlich anderen zugewendet hat.
Rz. 626
Die Interessenabwägung ist dahingehend vorzunehmen, ob aus Sicht eines objektiven Betrachters die Beweggründe der Schenkung des Erblassers den Umständen nach insoweit nachzuvollziehen sind, dass der Vertragserbe sie anerkennen und hinnehmen muss.
Im Einzelnen ist dies bisher bejaht worden:
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wenn der Erblasser dies aus Gründen der Altersvorsorge getan hat |
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wenn er die Schenkung gegenüber einer jüngeren Ehefrau zwecks späterer Betreuung und Pflege getätigt hat |
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zur Erfüllung einer Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem zweiten Ehegatten durch Bestellung eines Nießbrauchsrechts |
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wenn die Übertragung eines Geschäftsanteils auf einen Mitarbeiter erfolgte, um diesen aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten zu halten |
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wenn die Schenkung aus ideellen Gründen als Belohnung für geleistete Dienste im angemessenen Umfang erfolgte, beispielsweise für Pflege, oder |
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wenn der Vertragserbe sich schwerer Verfehlungen gegenüber dem Erblasser schuldig gemacht hat. |
Rz. 627
Ein lebzeitiges Eigeninteresse wurde bisher verneint:
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wenn der Erblasser nach Abschluss des Erbvertrags zum Beschenkten eine enge persönliche Beziehung entwickelte und durch die Schenkung seine Zuneigung bekunden möchte |
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wenn er die Schenkung gemacht hat, weil er feststellen musste, dass er den Beschenkten im Rahmen der Verfügung von Todes wegen zu gering bedacht hatte |
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wenn die Schenkung zum Zwecke der Gleichbehandlung der Abkömmlinge des Erblassers erfolgt ist, oder |
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wenn die Schenkung darauf gerichtet war, die Verfügung von Todes wegen zu korrigieren. |
Rz. 628
Neben der Prüfung, ob bei einer lebzeitigen Verfügung ein berechtigtes Eigeninteresse vorlag, bleibt auch trotz Abkehr des BGH von den Grundsätzen der "Aushöhlungsnichtigkeit" zu prüfen, ob die lebzeitige Verfügung im Einzelfall nicht sittenwidrig ist. Handeln der Erblasser und der Be...