Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
Rz. 638
Erfolgt die Übertragung einer Immobilie vorwiegend aus dem Grund, den Nachlass und etwaige Pflichtteilsansprüche anderer Abkömmlinge zu reduzieren, dann ist darauf zu achten, dass es sich möglichst um ein entgeltliches Rechtsgeschäft handelt. Im Rahmen der Übergabe hat der BGH entschieden, dass sowohl die echte Gegenleistung als auch eine Auflage bei der Bemessung des Wertes, der dem Pflichtteilsergänzungsanspruch zugrunde zu legen ist, in Abzug zu bringen ist. Der BGH macht insoweit für die Berechnung des Ergänzungsanspruchs keinen Unterschied zwischen Auflage und echter Gegenleistung.
Rz. 639
Nicht vergessen darf man, dass im Rahmen lebzeitiger Übertragungen die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB zu berücksichtigen ist. Hierzu hat der BGH für den Nießbrauchsvorbehalt schon lange entschieden, dass die Frist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch dann nicht zu laufen beginnt, wenn der Übergeber sich tatsächlich nicht von den Vorteilen und dem wirtschaftlichen Nutzen des übergebenen Gegenstandes getrennt hat. Inwieweit diese Grundsätze auch für ein (sich ggf. nur auf einzelne Gebäudeteile erstreckendes) Wohnungsrecht gelten, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, anhand derer beurteilt werden muss, ob der Erblasser den verschenkten Gegenstand auch nach Vertragsschluss noch im Wesentlichen weiterhin nutzen konnte. Für den Regelfall wird man mittlerweile davon ausgehen können, dass jedenfalls der Vorbehalt eines räumlich beschränkten Wohnungsrechts den Lauf der Frist nicht hemmt.
Rz. 640
Für die Beratung bedeutet dies, dass möglichst Gegenleistungen vereinbart werden sollten, die die Zehnjahresfrist in Gang setzen. Wegen der in § 2325 Abs. 3 BGB vorgesehenen Abschmelzung gilt dies auch bei älteren Übergebern, bei denen nicht mehr damit zu rechnen ist, dass sie zehn Jahre überleben.
Erfolgt eine lebzeitige Vermögensübertragung unter Vorbehalt von Nutzungsrechten, ist im Hinblick auf die spätere Bewertung zudem die Rechtsprechung zum sog. Niederstwertprinzip zu beachten (siehe näher § 17 Rdn 84).
Rz. 641
Erreichen die Gegenleistungen den Wert des Zuwendungsgegenstandes, kann es bereits an einer objektiven Bereicherung des Zuwendungsempfängers und damit an einer Schenkung fehlen. Voraussetzung ist, dass die Vertragsparteien Leistung und Gegenleistung kaufmännisch gegeneinander abgewogen haben. Im Rahmen der Vertragsfreiheit ist ihnen dabei ein gewisser Spielraum zuzugestehen, es darf aber kein grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vorliegen. Fehlt es bereits am Vorliegen einer Schenkung, kommt es auf die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB und auf das Niederstwertprinzip nicht an. Als typische Gegenleistungen werden beispielsweise ein Nießbrauchsvorbehalt, ein Wohnungsrecht, Rentenzahlungen oder eine Pflegeverpflichtung (häusliche Pflege) vereinbart.
Rz. 642
Vereinbaren Schenker und Erwerber, nachdem der Schenkungsgegenstand übertragen wurde, nachträglich ein volles Entgelt für den Übergabegegenstand und die daraus vom Erwerber bereits gezogenen Nutzungen, steht dem Pflichtteilsberechtigten nach Ansicht des BGH beim Erbfall kein Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen der ursprünglichen Schenkung zu.