Rz. 334

Nach einer früheren Entscheidung des BGH[358] sollte der Sozialhilfeträger bei gegenseitiger Erbeinsetzung von Ehegatten nach dem Tod des Erstversterbenden Pflichtteilsansprüche eines behinderten Kindes unabhängig von dessen eigener Entscheidung auf sich überleiten und geltend machen können. Die Auslegung sog. Behindertentestamente ergebe jedoch regelmäßig, dass für diesen Fall die im Testament angeordnete Sanktion des Ausschlusses des Erbrechts auf das Ableben des Letztversterbenden für die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches nicht gelten soll.[359] Dagegen greift eine Pflichtteilsklausel nach Ansicht des OLG Hamm dann ein, wenn Eltern in einem gemeinschaftlichen Testament ihre Kinder gleichmäßig als Schlusserben eingesetzt haben, ohne ausdrückliche Regelungen im Sinne eines Behindertentestaments zu treffen, und nicht das behinderte Kind selbst, sondern der Sozialhilfeträger aus übergeleitetem Recht die Pflichtteilsansprüche geltend macht.[360]

 

Rz. 335

In seiner Grundsatzentscheidung vom 19.1.2011[361] hat der BGH entschieden, dass der Pflichtteilsverzicht eines behinderten Sozialhilfeempfängers grundsätzlich nicht sittenwidrig ist. Für einen Verzicht könne sich ein Pflichtteilsberechtigter nicht nur auf die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Privatautonomie, sondern auch auf den Grundgedanken der Erbfreiheit berufen. Die grundsätzliche Ablehnungsmöglichkeit gegenüber Zuwendungen bestehe für den Erwerb von Pflichtteilsansprüchen in gleicher Weise wie für die Erbenstellung oder den Erwerb von Vermächtnissen. Es stellt sich somit die (vom BGH unbeantwortete) Frage, wie diese Feststellung mit § 93 SGB XII und der sich daraus ergebenden Überleitungsmöglichkeit des Sozialhilfeträgers zu vereinbaren ist.[362]

Dem Gebot des sichersten Weges folgend sollte bis zu einer endgültigen Klärung durch die Rechtsprechung auf eine Pflichtteilstrafklausel in Behindertentestamenten verzichtet oder das behinderte Kind von den Wirkungen einer Pflichtteilsstrafklausel zumindest ausdrücklich ausgenommen werden.[363]

[358] ZEV 2006, 76.
[359] Ebenso OLG Karlsruhe ZEV 2004, 26 m.Anm. Spall.
[360] NJW-RR 2013, 779.
[361] BGHZ 188, 96.
[362] Vgl. die Anmerkung von Zimmer, ZEV 2011, 262, 263.
[363] Vgl. Ruby/Schindler/Schindler, Das Behindertentestament, § 3 Rn 8 ff.

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