Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
aa) Rücktrittsrecht
(1) Rücktrittsrecht des Vertragspartners
Rz. 565
Der Vertragspartner, der nicht als Erblasser gehandelt hat, kann nach den allgemeinen Regeln über den Rücktritt vom Vertrag (§§ 346 ff. BGB) vom Erbvertrag nur zurücktreten, sofern er sich ausdrücklich ein Rücktrittsrecht vorbehalten hat. Damit entsteht ein Rückabwicklungsverhältnis. Ein gesetzliches Rücktrittsrecht nach § 323 BGB scheidet aus, weil es sich beim Erbvertrag nicht um einen gegenseitigen Vertrag im Sinne der §§ 320 ff. BGB handelt. Eines gesetzlichen Rücktrittsrechts für den Vertragspartner, der nicht zugleich Erblasser ist, bedarf es nicht, weil er die ihm gemachte Zuwendung ausschlagen kann.
Rz. 566
Für seine Rücktrittserklärung gelten die Formvorschriften der §§ 2296, 2297 BGB nicht; sie kann vielmehr formlos abgegeben werden. Die Ausübung des Rücktrittsrechts durch den Vertragspartner vernichtet die Verfügung des Erblassers nicht automatisch; aber sie kann bei ihm ein Rücktrittsrecht nach § 2295 BGB auslösen.
(2) Rücktrittsrecht des Erblassers
Rz. 567
Dem Erblasser kann entweder ein vertraglich vereinbartes vollständiges oder teilweises Rücktrittsrecht (§ 2293 BGB) oder ein durch Gesetz gewährtes zustehen (§§ 2294 ff. BGB). An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass in den Fällen, in denen aus Kostenersparnisgründen (keine Erbscheine erforderlich; keine gerichtliche Hinterlegung) statt eines gemeinschaftlichen Testaments ein Erbvertrag unter Ehegatten/eingetragenen Lebenspartnern errichtet wird, auch das Rücktrittsrecht für beide Vertragsteile vorbehalten werden sollte, weil diese Möglichkeit nur beim gemeinschaftlichen Testament ohnehin kraft Gesetzes bestünde. Allerdings gibt es auch Gegenargumente.
bb) Vorbehaltenes Rücktrittsrecht (§ 2293 BGB)
Rz. 568
Das im Erbvertrag vorbehaltene Rücktrittsrecht bietet dem Erblasser die Möglichkeit, durch einseitige Erklärung vom Vertrag loszukommen. Ob und in welchem Umfang die Rücktrittsmöglichkeit bestehen soll, unterliegt dem Willen der Vertragsparteien und ist notfalls durch Auslegung zu ermitteln, wobei auch auf den Empfängerhorizont abzustellen ist. Versäumt der Rechtsanwalt, den Scheidungsantrag rechtzeitig zu stellen oder den Rücktritt vom Erbvertrag durch seine Mandanten erklären zu lassen, um so den Ausschluss der (Noch-)Ehefrau von der Erbfolge zu bewirken, haftet er den Erben des Erblassers gegenüber (Anwaltsvertrag mit Schutzwirkung gegenüber Dritten).
Hinweis
Der Umfang des vorbehaltenen Rücktrittsrechts ist präzise zu formulieren. Bei Unternehmerehen sollte regelmäßig ein Rücktrittsrecht ohne Angabe von Gründen vorgesehen werden und der überlebende Unternehmer-Ehegatte nur einseitig testamentarisch verfügen.
cc) Gesetzliches Rücktrittsrecht
(1) Rücktritt bei Verfehlungen des Bedachten (§§ 2293, 2294 BGB)
Rz. 569
Macht sich der Bedachte einer Verfehlung schuldig, die den Erblasser berechtigt, ihm den Pflichtteil zu entziehen oder – falls der Bedachte nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehört – ihn berechtigen würde, einem Abkömmling den Pflichtteil zu entziehen, so kann der Erblasser vom Erbvertrag zurücktreten (§ 2294 BGB). Die Pflichtteilsentziehungsgründe sind in § 2333 BGB abschließend aufgezählt.
Rz. 570
Hat der überlebende Ehegatte eine wechselbezügliche Verfügung wegen Vorliegens einer Verfehlung nach §§ 2294, 2333 ff. BGB in der Form des § 2336 BGB wirksam aufgehoben, wird der Widerruf durch eine nachträgliche Verzeihung i.S.v. § 2337 S. 2 BGB nicht unwirksam. Die Vorschrift gilt nur für die Entziehung des Pflichtteils nach §§ 2333 ff. BGB und nicht für die Aufhebung einer Verfügung gemäß § 2271 Abs. 2 S. 2 BGB. Weder § 2271 Abs. 2 S. 2 BGB noch § 2294 BGB verweisen auf § 2337 S. 2 BGB; für eine entsprechende Anwendung besteht kein hinreichender Grund. Dem Erblasser verbleibt wie auch sonst die Möglichkeit, neu zu testieren bzw. den Widerruf gemäß §§ 2253 ff. BGB zu widerrufen.
Rz. 571
Nur wenn die Verfehlung nach Vertragserrichtung begangen wurde, entsteht das Rücktrittsrecht. War sie bereits vorher begangen worden, hatte der Erblasser aber keine Kenntnis davon, so kann ein Anfechtungsrecht in Betracht kommen. Die Beweislast für das Vorliegen der Rücktrittsvoraussetzungen trägt der Erblasser.
(2) Rücktritt bei Wegfall der Gegenverpflichtung, § 2295 BGB
Rz. 572
§ 2295 BGB gewährt dem Erblasser ein Rücktrittsrecht, wenn die Verpflichtung des Vertragspartners auf wiederkehrende Leistungen gegenüber dem Erblasser vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wird. Diese Vorschrift zielt auf entgeltliche Erbverträge ab. Seine bereits erbrachten Leistungen kann der Vertragspartner im Falle des Rücktritts nach § 812 Abs. 1 S. 2 BGB zurückverlangen (Nichterreichen des bezweckten Erfolgs).
Rz. 573
Ist mit einem Erbvertrag, durch den der Erblasser den Bedachten zum Erben bestimmt, ein gegenseitiger Vertrag unter Lebenden verbunden, in dem der Bedachte sich zum Erbringen von Pflegeleistungen verpflichtet und der Erblasser we...