Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
I. Zweck, Rechtsnatur, Arten und Systemvergleich
1. Zweck und Rechtsnatur
Rz. 479
Im Gegensatz zum Testament als einseitige Willenserklärung treffen im Erbvertrag entweder beide Vertragsteile oder nur einer eine Verfügung von Todes wegen mit vertraglicher Bindung, § 1941 BGB. Wesentliches Merkmal der Testierfreiheit ist die Möglichkeit, testamentarische Verfügungen jederzeit frei widerrufen zu können. Diese freie Widerruflichkeit gilt für vertraglich angeordnete Verfügungen von Todes wegen nicht. Hierin liegt eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot des § 2302 BGB, wonach Verträge über die Testierfreiheit des Erblassers unzulässig sind.
Rz. 480
Die Rechtsnatur des Erbvertrags wird von zwei Elementen geprägt: Einerseits trifft der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen, andererseits wird diese Verfügung im Einverständnis mit dem Vertragspartner getroffen. Da der Erbvertrag die Verfügung von Todes wegen selbst enthält, verstößt er auch nicht gegen § 2302 BGB – der Erbvertrag ist kein Verpflichtungsvertrag. Bereits zu Lebzeiten des Erblassers tritt für ihn eine vertragliche Bindung ein. Auf der einen Seite steht die höchstpersönliche Verfügung von Todes wegen, auf der anderen finden sich Elemente eines zweiseitigen Vertrags. Aus diesem Grund spricht man auch von der "Doppelnatur" des Erbvertrags. Weil aber die Wirkungen erst mit dem Tod des Erblassers eintreten, wird der Erbvertrag als "Vertrag sui generis" gekennzeichnet. Damit wird gleichzeitig klargestellt, dass die Vorschriften des BGB für schuldrechtliche Verträge einschließlich der Vorschriften über gegenseitige Verträge (§§ 323 ff. BGB) nicht anwendbar sind. Auch wenn sich die Vertragschließenden – häufig Ehegatten – gegenseitig zu Erben einsetzen oder wenn einerseits der Erblasser eine Person zum Erben einsetzt und diese Person eine Verpflichtung zur Erbringung einer Leistung zu Lebzeiten verspricht, so finden die schuldrechtlichen Vorschriften auf den Erbvertrag dennoch keine Anwendung. Denkbar wäre in einem solchen Fall allenfalls eine Verbindung der beiden Verträge nach § 139 BGB, falls ein entsprechender Parteiwille festgestellt werden kann.
Rz. 481
Weitere Folgen der vertraglichen Bindung des Erblassers sind:
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Die vertragsmäßig getroffenen Verfügungen können nicht einseitig widerrufen werden (Ausnahme: Anfechtung und Rücktritt). |
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Der Erblasser kann keine anders lautende Verfügung von Todes wegen errichten (§ 2289 Abs. 1 BGB). |
Die vertragsmäßige Verfügung von Todes wegen kann entweder zugunsten des Vertragspartners oder zugunsten eines Dritten erfolgen.
Rz. 482
Der Erbvertrag kann zwischen fremden Personen geschlossen werden, ist also nicht auf Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner beschränkt. Von den mehreren fremden Personen kann jede oder nur eine als Erblasser handeln.
Rz. 483
Hinweis
Nicht jede Rechtsordnung hat sich so extrem komplizierte Regeln wie die der vertraglichen letztwilligen Verfügungen zu eigen gemacht. Die zum romanischen Rechtskreis gehörenden Staaten kennen in der Regel weder den Erbvertrag noch das gemeinschaftliche Testament. Da sich das Erbstatut in Europa grundsätzlich nach dem Recht des Staates richtet, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes bzw. bei Abschluss des Erbvertrages seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 25 EGBGB i.V.m. Art. 21 Abs. 1, 25 EuErbVO), ist Vorsicht geboten, wenn ein Staatsangehöriger aus diesem Rechtskreis ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag als Erblasser errichten will. Ein Verstoß gegen das Verbot gemeinschaftlicher letztwilliger Verfügungen hätte in aller Regel deren Formnichtigkeit zur Folge.
2. Arten von Erbverträgen
Rz. 484
Das Gesetz geht im Allgemeinen vom einseitigen Erbvertrag aus (§ 2274 BGB), es kennt jedoch auch die Sonderform des Ehegattenerbvertrags (§§ 2280, 2292 BGB) und sonstige zweiseitige Erbverträge (§ 2298 BGB).
Man unterscheidet also einseitige Erbverträge sowie zwei- oder sogar mehrseitige Erbverträge.
a) Einseitiger Erbvertrag
Rz. 485
Wenn nur ein Vertragsteil eine Verfügung von Todes wegen trifft, der andere Vertragsteil aber nicht, so spricht man vom einseitigen Erbvertrag. Diese Art von Erbverträgen wird häufig in der Form geschlossen, dass sich ein Teil verpflichtet, den Erblasser lebenslang zu pflegen und dieser dafür den anderen vertraglich zum Erben einsetzt. Ein solcher Vertrag enthält eine schuldrechtliche Verpflichtung als Gegenleistung für die Erbeinsetzung. Die Regeln über den gegenseitigen Vertrag im Sinne der §§ 320 ff. BGB finden jedoch keine Anwendung, weil die Verfügung des Erblassers keine schuldrechtliche Verpflichtung darstellt, sondern eine Verfügung von Todes wegen ist. Der Erbvertrag steht mi...