Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
I. Die lebzeitige Verfügung bei mangelnder Testierfreiheit
Rz. 619
Im Rahmen der Testierfreiheit und des Schutzes des Vertragserben durch Verfügungen von Todes wegen hat auch die Frage des Schutzes durch lebzeitige Verfügungen eine besondere Bedeutung. Denn nicht selten folgt auf die festgestellte Bindungswirkung und die mangelnde Testierfreiheit die Frage des Mandanten, ob er denn wenigstens zu Lebzeiten über sein Vermögen frei verfügen kann.
1. Beim Erbvertrag
Rz. 620
Grundsätzlich gilt gemäß §§ 2286, 2287 BGB, dass der Erblasser frei ist, durch Rechtsgeschäft unter Lebenden über sein Vermögen zu verfügen. Das Wort Erbvertrag verleitet zwar schnell zu dem Eindruck, der Vertragserbe habe eine gesicherte Rechtsposition, dies ist so jedoch nicht richtig. Der Erblasser wird durch den Erbvertrag zwar in seiner Testierfreiheit beschränkt, nicht aber an einer Verfügung unter Lebenden gehindert. Eine solche ist grundsätzlich wirksam; lediglich wenn es sich um eine unentgeltliche Verfügung handelt, bestehen im Rahmen der §§ 2287, 2288 BGB unter Umständen Herausgabeansprüche der Erben (vgl. § 29 Rdn 1 ff.). Bis zum Erbfall selbst hat der Begünstigte dagegen keine gesicherte Rechtsposition, insbesondere steht ihm auch kein rechtlich sicherbares Anwartschaftsrecht zu.
2. Beim gemeinschaftlichen Testament
Rz. 621
§ 2287 BGB findet zum Schutz der Schlusserben auch bei bindend gewordenen gemeinschaftlichen Testamenten Anwendung. Hat der Erblasser lebzeitig Schenkungen getätigt und liegen die Voraussetzungen des § 2287 BGB vor, dann kann der Schlusserbe die Schenkungsgegenstände herausverlangen. Das Recht entsteht allerdings gemäß § 2287 BGB erst mit dem Tod des Erblassers, was in der Regel nur ein schwacher Schutz ist, da der Beschenkte bis dahin die Möglichkeit hat, den Gegenstand zu verbrauchen. Dem Vertrags- oder Schlusserben steht diesbezüglich zu Lebzeiten des Erblassers nicht einmal ein Sicherungsrecht durch Arrest oder einstweilige Verfügung zu. Dem Schlusserben kann aber nach Ansicht des BGH unter bestimmten Voraussetzungen bereits zu Lebzeiten ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Beschenkten nach § 242 BGB zustehen.
3. Der Herausgabeanspruch des Vertrags-(Schluss)erben
Rz. 622
Die Voraussetzungen des § 2287 BGB sind das Vorliegen einer objektiven Beeinträchtigung des Vertrags- oder Schlusserben sowie einer Beeinträchtigungsabsicht (subjektiver Tatbestand). § 2287 BGB findet Anwendung auf Schenkungen, gemischte Schenkungen und Auflagenschenkungen und wohl auch auf ehebezogene Zuwendungen. Bei der Prüfung, ob eine (gemischte) Schenkung vorliegt, sind bei Grundstücksübergaben u.a. auch ein vorbehaltener Nießbrauch sowie eine übernommene Pflegeverpflichtung zu berücksichtigen. Eine objektive Beeinträchtigung liegt jedoch dann nicht vor, wenn:
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das Testament einen ausreichenden Änderungsvorbehalt bzw. eine Freistellungsklausel vorgesehen hat |
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eine echte Wertverschiebung nicht erfolgte |
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die Zuwendung im Rahmen einer vorweggenommenen Vermächtniserfüllung erfolgte. |
Rz. 623
Soweit der Empfänger Pflichtteilsberechtigter war und soweit sein Pflichtteilsanspruch besteht, ist eine Herausgabe nicht möglich bzw. liegt eine objektive Beeinträchtigung nur in Höhe der Differenz vor. Überwiegt der Wert des Geschenks, hat eine Herausgabe Zug um Zug gegen Zahlung des Pflichtteils zu erfolgen, im anderen Fall kann der Vertragserbe nur Zahlung des Betrags verlangen, um den der Wert des Geschenks den Pflichtteil übersteigt. Ist die Zuwendung an einen Miterben erfolgt, liegt nur eine objektive Beeinträchtigung in Höhe der Differenz zwischen der Quote des Miterben zu den Quoten der übrigen Erben vor.
Rz. 624
Im subjektiven Tatbestand setzt § 2287 BGB die Beeinträchtigungsabsicht voraus. Die Absicht des Erblassers, dem Vertrags- oder Schusserben die Erbeinsetzung zu entziehen oder zu verringern, muss nicht der ausschließliche Grund der Schenkung sein. Nach früherer Rechtsprechung musste die Beeinträchtigung des Vertragserben der bestimmende Beweggrund für die Schenkung sein. Nicht zuletzt angesichts der Beweisschwierigkeiten, vor die sich ein Vertragserbe hierbei gestellt sah, hat der BGH diese Rechtsprechung der sog. Aushöhlungsnichtigkeit in seiner Grundsatzentscheidung vom 5.7.1972 aufgegeben und den Tatbestand des § 2287 BGB über den Wortlaut der Vorschrift hinaus neu bestimmt.
Rz. 625
An das Vorliegen der Benachteiligungsabsicht werden demnach nur noch sehr geringe Anforderungen gestellt. Es ist nicht erforderlich, dass der Erblasser böswillig handelt, vielmehr genügt sein Wissen darum, dass er durch die unentgeltliche Weggabe das Erbe schmälert. Die Rechtsprechung geht somit von einer weiten Interpretation des Begriffes der Benachteiligungsabsicht aus. Als zusätzliches (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal bedarf es seither jedoch einer Missbrauchsprüfung, bei welcher anhand objektiver Kriterien Rückschlüsse auf die su...