Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
1. Berücksichtigung von § 2306 Abs. 1 BGB
Rz. 330
Bei der Gestaltung eines Behindertentestamentes ist unbedingt darauf zu achten, dass der Erbteil des behinderten Kindes höher als sein Pflichtteil ist. Ansonsten kann der durch § 2305 BGB entstehende Zusatzpflichtteil auf den Sozialhilfeträger übergeleitet werden. Darüber hinaus sollten dem behinderten Kind im Rahmen der Testamentsvollstreckung keine Zuwendungen gemacht werden, die dessen Anspruch auf Sozialleistungen ausschließen oder verringern.
2. Vor- und Nachvermächtnis
Rz. 331
Probleme können auch entstehen, wenn für das Behindertentestament Vor- und Nachvermächtnis gewählt werden. Auch wenn dies, ebenfalls in Verbindung mit einer Dauertestamentsvollstreckung, zu Lebzeiten des Behinderten zunächst die gleiche Wirkung entfaltet wie eine Vor- und Nacherbschaft, entstehen doch beim Tod des Kindes mit Eintritt des Nachvermächtnisfalles erhebliche Schwierigkeiten. Es besteht dann nämlich eine Konkurrenzsituation zwischen dem Kostenerstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers nach § 102 SGB XII (zehn Jahre) und dem Anspruch des Nachvermächtnisnehmers auf Erfüllung seines Vermächtnisanspruchs. Denn anders als bei der Nacherbschaft fällt der Vermächtnisanspruch des Nachvermächtnisnehmers in den Nachlass des Vorvermächtnisnehmers.
Rz. 332
Da der Nachlass des behinderten Kindes in der Regel verschuldet sein wird und eine Nachlassinsolvenz nicht erspart bleibt, besteht insoweit Konkurrenz zwischen beiden Ansprüchen. Die Frage, wie dieser Konflikt zu lösen ist, d.h. ob eine zumindest teilweise Zugriffsmöglichkeit des Sozialhilfeträgers besteht oder nicht, wird kontrovers diskutiert. Die Vermächtnislösung ist daher mit nicht unerheblichen Risiken behaftet, wenn es um die Weitergabe des Vermächtnisgegenstandes an den oder die Nachvermächtnisnehmer geht.
3. Häufung der Ämter
Rz. 333
Im Übrigen ist darauf zu achten, dass es im Rahmen eines Behindertentestamentes nicht zu einer Häufung der Ämter kommt. So sollte der Betreuer bspw. nicht gleichzeitig Testamentsvollstrecker sein. Dabei müssen die gegensätzlichen Interessen auch nicht etwa in der Person des Betreuers selbst vorliegen; sie können sich auch aus einem Gegensatz zu den Interessen einer ihm nahe stehenden Person ergeben, die sich der Betreuer zu Eigen machen könnte. Als kautelarjuristische Vermeidungsstrategie bezüglich eines drohenden Interessenkonfliktes schlägt Bonefeld vor, den Testamentsvollstrecker nach § 2199 BGB zu ermächtigen, einen Mittestamentsvollstrecker zu ernennen, der ausschließlich für den Aufgabenkreis zuständig ist, der aufgrund der vermeintlichen Interessenkollision des Haupttestamentsvollstreckers dessen Verwaltung entzogen ist.
4. Pflichtteilsstrafklausel
Rz. 334
Nach einer früheren Entscheidung des BGH sollte der Sozialhilfeträger bei gegenseitiger Erbeinsetzung von Ehegatten nach dem Tod des Erstversterbenden Pflichtteilsansprüche eines behinderten Kindes unabhängig von dessen eigener Entscheidung auf sich überleiten und geltend machen können. Die Auslegung sog. Behindertentestamente ergebe jedoch regelmäßig, dass für diesen Fall die im Testament angeordnete Sanktion des Ausschlusses des Erbrechts auf das Ableben des Letztversterbenden für die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruches nicht gelten soll. Dagegen greift eine Pflichtteilsklausel nach Ansicht des OLG Hamm dann ein, wenn Eltern in einem gemeinschaftlichen Testament ihre Kinder gleichmäßig als Schlusserben eingesetzt haben, ohne ausdrückliche Regelungen im Sinne eines Behindertentestaments zu treffen, und nicht das behinderte Kind selbst, sondern der Sozialhilfeträger aus übergeleitetem Recht die Pflichtteilsansprüche geltend macht.
Rz. 335
In seiner Grundsatzentscheidung vom 19.1.2011 hat der BGH entschieden, dass der Pflichtteilsverzicht eines behinderten Sozialhilfeempfängers grundsätzlich nicht sittenwidrig ist. Für einen Verzicht könne sich ein Pflichtteilsberechtigter nicht nur auf die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Privatautonomie, sondern auch auf den Grundgedanken der Erbfreiheit berufen. Die grundsätzliche Ablehnungsmöglichkeit gegenüber Zuwendungen bestehe für den Erwerb von Pflichtteilsansprüchen in gleicher Weise wie für die Erbenstellung oder den Erwerb von Vermächtnissen. Es stellt sich somit die (vom BGH unbeantwortete) Frage, wie diese Feststellung mit § 93 SGB XII und der sich daraus ergebenden Überleitungsmöglichkeit des Sozialhilfeträgers zu vereinbaren ist.
Dem ...