Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
1. Allgemeines
Rz. 78
Der Erblasser kann für den Fall, dass der Erbe vor oder nach Eintritt des Erbfalls wegfällt, einen anderen als Erben einsetzen (Ersatzerbe). Die Einsetzung eines Ersatzerben verhindert vorwiegend den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge bei Wegfall eines Erben. Dies entspricht dem Eintrittsrecht gemäß § 1924 Abs. 3 BGB bei der gesetzlichen Erbfolge.
Bei einem Wegfall nach dem Erbfall greift die Ersatzerbfolge nur ein, wenn der Wegfall auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurückwirkt. Ein "Wegfall" des Erben ist demnach gegeben bei Tod des Erben vor dem Erbfall, Erbverzicht (§§ 2346 Abs. 1, 2352 BGB), bei dem Eintritt auflösender oder dem Ausfall aufschiebender Bedingungen hinsichtlich der Erbeinsetzung, bei anfänglicher Nichtigkeit oder Unwirksamkeit der Einsetzung, bei der Ausschlagung, bei Erbunwürdigkeitserklärung sowie bei einer wirksamen Anfechtung einer Verfügung von Todes wegen gemäß §§ 2078 ff. BGB.
2. Die vermutete Ersatzerbenbestimmung
Rz. 79
Ist eine Ersatzerbenregelung nicht getroffen, so kommt es eventuell zur Anwendung der gesetzlichen Auslegungsvorschrift des § 2069 BGB. Hat der Erblasser einen seiner Abkömmlinge bedacht und fällt dieser nach der Errichtung des Testaments weg, so ist im Zweifel anzunehmen, dass dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden (§ 2069 BGB).
Diese Vermutungsregel gilt auch für Vermächtnisse und Auflagen. Die Auslegung im Einzelfall ist aber grundsätzlich vorrangig. Als "Abkömmlinge" gelten auch nichteheliche bzw. adoptierte Kinder. Aus diesem Grund ist der ausdrückliche Ausschluss nichtehelicher bzw. adoptierter Kinder bei der Ersatzerbenberufung zu empfehlen, falls eine gegenteilige Vermutung nicht gewünscht sein sollte. Bei einem gemeinschaftlichen Testament reicht es aus, wenn der Bedachte ein Abkömmling des Erstversterbenden ist.
Rz. 80
Streitig ist, ob ein Wegfall des Erstberufenen mit der Wirkung des Eintritts der vermuteten Ersatzerbenberufung gemäß § 2069 BGB vorliegt, wenn der Erstberufene die Erbschaft ausschlägt, um den Pflichtteil zu verlangen.
Rz. 81
Der BGH vertritt die Ansicht, dass hier kein Wegfall vorliegt, da ohne erkennbare gegenteilige Absicht des Erblassers nicht anzunehmen sei, dass dieser den Stamm des Ausschlagenden, der ja seinen Pflichtteil als Ersatzstück seines Erbrechts erhält, durch Aufrechterhaltung der Ersatzerbfolge doppelt berücksichtigen wollte.
Rz. 82
Eine andere Auffassung hält § 2069 BGB auch hier für anwendbar, da ein unbilliges Ergebnis dadurch vermieden werde, dass gemäß § 2320 Abs. 2, 1 BGB die nachrückenden Abkömmlinge im Innenverhältnis den Pflichtteilsanspruch des Ausschlagenden zu tragen haben.
Rz. 83
Hinweis
Problematisch ist der Fall, in dem ein erstberufener Erbe die Erbschaft ausschlägt, um seinen Pflichtteil zu verlangen, und dies dann zur Folge hat, dass infolge der Ersatzerbeinsetzung trotzdem der Stamm des Ausschlagenden Erbe wird, allerdings belastet mit der Pflichtteilslast gemäß § 2320 Abs. 2 BGB. Dies dürfte dem Willen des Erblassers grundsätzlich nicht entsprechen. Eine Möglichkeit, dies zu verhindern, besteht in der Verwendung der sogenannten Verwirkungsklausel, die für diesen Fall die Enterbung des ganzen Stammes des Ausschlagenden vorsieht.
Rz. 84
§ 2069 BGB kommt auch nicht zur Anwendung, wenn ein Erbverzicht gegen volle Abfindung erklärt wurde.
3. Die hypothetische Ersatzerbenbestimmung
Rz. 85
Hat der Erblasser keinen Abkömmling, sondern eine andere verwandte oder ihm sonst nahe stehende Person eingesetzt, ist § 2069 BGB nicht – auch nicht analog – anwendbar. Nach der Rechtsprechung kann jedoch der dem § 2069 BGB zugrunde liegende Rechtsgedanke, nämlich die Bedenkung des Stammes, bei ergänzender Auslegung (hypothetische Ersatzerbenbestimmung) zur Anwendung kommen. Voraussetzung ist, dass es sich bei der als Erben eingesetzten Person um einen nahen Angehörigen handelt oder sonst ein besonders enges Verhältnis zwischen Erblasser und Bedachten bestand. Ist dies nicht im Sinne des Erblassers, dann ist eine entsprechende Formulierung in das Testament aufzunehmen.
Rz. 86
Nur falls auch durch ergänzende Auslegung im eben dargestellten Sinne keine Ersatzerbenberufung festgestellt werden kann, tritt gem. § 2094 BGB Anwachsung bei den übrigen Miterben bzw. die gesetzliche Erbfolge ein.