Rz. 336

Es bleibt die Frage, ob das Behindertentestament zukünftig bei jeder Vermögensgröße Bestand haben wird.

Der BGH hatte über die Frage der Sittenwidrigkeit bislang nur für den Fall des Vorhandenseins von mittlerem Vermögen zu entscheiden. In einer Entscheidung vom 20.10.1993[364] hatte er dabei insofern noch auf die Vermögensgröße abgestellt, als er einen Vergleich dahingehend anstellte, ob der Pflichtteilsanspruch des Behinderten seine Versorgung auf Lebzeiten sicherstellen würde.

 

Rz. 337

Auch in seiner Grundsatzentscheidung zur (regelmäßig zu verneinenden) Sittenwidrigkeit des Pflichtteilsverzichts eines behinderten Beziehers von Sozialleistungen vom 19.1.2011[365] bestand der Nachlass im Wesentlichen aus einem Hausgrundstück. Allerdings begründete der BGH diese Entscheidung u.a. damit, dass gegen die Annahme sittenwidriger Anwendung erbrechtlicher Gestaltungsinstrumente das "beredte" Schweigen des Gesetzgebers spreche. Obwohl über eine Sittenwidrigkeit des Behindertentestamentes seit langem diskutiert wird, habe der Gesetzgeber die betreffenden Vorschriften des Sozialrechts nicht geändert. Es bestehe daher kein Anlass oder Grund, die bislang unterbliebene Erweiterung von Zugriffsmöglichkeiten gegenüber Eltern und Familien behinderter Kinder im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB richterrechtlich nachzuholen. Dies sei dem Gesetzgeber vorbehalten.

Die Ausführungen des BGH deuten somit darauf hin, dass der BGH eine Sittenwidrigkeit inzwischen ungeachtet der Vermögensgröße verneint.[366] Auch das OLG Hamm[367] hat mittlerweile entschieden, dass für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit die Größe des dem behinderten Kind hinterlassenen Vermögens keine Rolle spielt.

 

Rz. 338

 

Formulierungsbeispiel: Einzeltestament (Behindertentestament)

Ich, (...), geb. am (...), errichte folgendes Testament:

I. Testierfreiheit

Ich erkläre, dass ich nicht durch Bindungen aus einem früheren gemeinschaftlichen Testament oder aus einem Erbvertrag an der Errichtung dieses Testaments gehindert bin. Vorsorglich hebe ich alle bisher von mir getroffenen Verfügungen von Todes wegen in vollem Umfang auf.

II. Erbeinsetzung

Hiermit setze ich meinen Sohn S zu ⅔ und meine Tochter T zu ⅓ zu meinen Erben ein. Meine Tochter T wird jedoch nur Vorerbin. Von den Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB ist meine Tochter T mit Ausnahme der Beschränkung des § 2119 BGB nicht befreit. Nacherbe nach meiner Tochter T wird mein Sohn S, ersatzweise seine Abkömmlinge entsprechend den Vorschriften der gesetzlichen Erbfolge. Die Nacherbenanwartschaft ist weder veräußerbar noch vererblich. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod des Vorerben ein.

Zu Ersatzerben bestimme ich die Abkömmlinge meines jeweiligen Kindes nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge, wiederum ersatzweise soll Anwachsung eintreten.

III. Testamentsvollstreckung für meine Tochter T

Mit Rücksicht darauf, dass meine Tochter T wegen ihrer Behinderung nicht in der Lage sein wird, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen, insbesondere die ihr durch den Erbfall zufallenden Vermögenswerte selbst zu verwalten, ordne ich für den Fall meines Todes für den Erbteil von T Testamentsvollstreckung als Dauervollstreckung auf die Lebenszeit von T an. Die Testamentsvollstreckung setzt sich am auseinandergesetzten Nachlassvermögen, welches meiner Tochter T zusteht, fort.

Zum Testamentsvollstrecker benenne ich (…), ersatzweise (...), wiederum ersatzweise soll das Nachlassgericht einen geeigneten Testamentsvollstrecker bestimmen. Der Testamentsvollstrecker ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Über den Erbteil insgesamt darf der Testamentsvollstrecker aber nur mit Zustimmung des Familiengerichts verfügen.

Der Testamentsvollstrecker hat den Erbteil einschließlich der Erträge und Nutzungen zu verwalten, Geldbeträge gewinnbringend anzulegen und, falls Grundstücke vorhanden sind, diese in ordnungsgemäßem Zustand zu halten und zu vermieten. Er ist berechtigt, Gegenstände zu veräußern und zu ersetzen, wenn die Gefahr eines Wertverfalls besteht.

Der Testamentsvollstrecker wird angewiesen (§ 2216 Abs. 2 BGB), meiner Tochter T Mittel aus den Erträgnissen des Erbteils zur Verfügung zu stellen, die zur Verbesserung ihrer Lebensqualität beitragen, auf die der Sozialhilfeträger aber nicht zugreifen kann und die auch nicht zu einer Kürzung oder einem Wegfall von Leistungen der Sozialversicherungsträger, der Sozialhilfeträger, der Staatskasse sowie sonstiger Dritter führen. Die konkrete Ausgestaltung der Zuwendungen lege ich in das freie Ermessen des Testamentsvollstreckers. Lediglich beispielhaft kann es sich hierbei handeln um

Kleidung, Bettwäsche
persönliche Anschaffungen, beispielsweise zur Erfüllung geistiger oder künstlerischer Bedürfnisse, wozu insbesondere auch die Ausübung von Hobbies und Liebhabereien zählt, gerade im Hinblick auf die Stärkung der Psyche
die Einrichtung ihres Zimmers
Freizeiten und Urlaubsaufenthalte einschließlich der Anschaffung der dafür notwendigen Materialien und Ausstattungsgegenstände
ärztliche Behandlu...

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