Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
Rz. 735
Typisch für eine Beratungssituation ist, dass der Erblasser wissen will, ob er einen Abkömmling enterben soll, damit Gläubiger bzw. auch der Sozialhilfeträger später nicht auf das ererbte Vermögen zugreifen können. Diese Frage stellt sich dann, wenn der Abkömmling verschuldet ist oder es sich bspw. um ein behindertes Kind handelt, das Leistungen des Sozialhilfeträgers in Anspruch nimmt.
Rz. 736
Hier besteht seitens des Sozialhilfeträgers zunächst die Möglichkeit, den Pflichtteilsanspruch des Enterbten nach § 93 Abs. 1 SGB XII überzuleiten (eine Pfändung des Pflichtteilsanspruchs ist allerdings erst dann möglich, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist, vgl. § 852 Abs. 1 ZPO).
Rz. 737
Als Lösung bietet sich an, das betreffende Kind auf eine Quote, die etwas mehr als seinem Pflichtteil entspricht, einzusetzen und dann im Rahmen einer Dauertestamentsvollstreckung dem Abkömmling bestimmte Nutzungen etc. zukommen zu lassen.
Zusätzlich wird empfohlen, dass betreffende Kind als Vorerben einzusetzen. Nach § 2115 S. 1 BGB ist nämlich die Verfügung über einen Erbschaftsgegenstand, die im Wege der Zwangsvollstreckung, der Arrestvollziehung oder durch den Insolvenzverwalter erfolgt, im Falle des Eintritts der Nacherbfolge insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würde.
Nach vorzugswürdiger Ansicht sollte das Kind von den Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB nicht befreit werden. Zwar ist in einigen Gestaltungsvorschlägen von Verfügungen von Todes wegen zugunsten überschuldeter Personen vorgesehen, dass die überschuldete Person als Vorerbe die Stellung eines befreiten Vorerben erlangt. Da jedoch bei der befreiten Vorerbschaft der Erbe (und damit auch der Testamentsvollstrecker) die Nachlasssubstanz gem. §§ 2134, 2136 BGB für sich verwenden darf, muss auch dann, wenn die Nachlasserträge für den angemessenen Unterhalt des Erben nicht ausreichen, der Testamentsvollstrecker auf die Nachlasssubstanz zugreifen, womit die Gefahr eines mittelbaren Zugriffs auch der Nachlassgläubiger auf die Nachlasssubstanz besteht. Will man sicher ausschließen, dass der Testamentsvollstrecker verpflichtet ist, dem Erben das für dessen angemessenen Unterhalt Erforderliche auszukehren und dabei auch auf die Nachlasssubstanz zuzugreifen, sollte der betreffende Abkömmling daher als grundsätzlich nicht befreiter Vorerbe eingesetzt werden. Nicht nur unschädlich, sondern in der Regel auch sachgerecht ist jedoch eine Befreiung (ausschließlich) von der Beschränkung des § 2119 BGB, der die Anlegung von Geld nach den §§ 1806 f. BGB vorschreibt.
Der Sozialhilfeträger hat hier nicht die Möglichkeit, nach §§ 2306, 2307 BGB auszuschlagen und den vollen Pflichtteil zu verlangen, da es sich beim Ausschlagungsrecht um ein höchstpersönliches Recht des Pflichtteilsberechtigten handelt.
Rz. 738
Im Rahmen einer solchen Gestaltung ist aber darauf zu achten, dass der Pflichtteilsberechtigte etwas mehr als seinen Pflichtteil erhält, da ansonsten der durch § 2305 BGB entstehende Zusatzpflichtteil auf den Sozialhilfeträger übergeleitet werden kann.
Mit Urteil vom 19.1.2011 hat der BGH entschieden, dass der Pflichtteilsverzicht eines behinderten Beziehers von Sozialleistungen grundsätzlich nicht sittenwidrig ist. Dabei stützt sich der BGH nicht zuletzt auf die verfassungsrechtliche Figur der negativen Erbfreiheit als Gegenstück der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Die grundsätzliche Ablehnungsmöglichkeit gegenüber Zuwendungen müsse sowohl für die Erbenstellung als auch für den Erwerb von Vermächtnissen oder Pflichtteilsansprüchen gelten. Nach vorgenannter Entscheidung des BGH ist daher regelmäßig zusätzlich zur Errichtung eines Testamentes der Abschluss eines Pflichtteilsverzichtsvertrages zu empfehlen, sofern das behinderte Kind geschäftsfähig ist.
Inwieweit sich die vom BGH zur Rechtsstellung eines behinderten Erben oder Pflichtteilsberechtigten entwickelten Grundsätze auf einen Pflichtteilsverzicht oder eine Ausschlagung durch einen anderen Sozialhilfeempfänger, insbesondere einen Hartz IV-Empfänger, übertragen lassen, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Nach Ansicht des LSG Bayern soll es einem Empfänger von Sozialleistungen verwehrt sein, eine Erbschaft bei werthaltigem Nachlass auszuschlagen. Erkennt man jedoch mit dem BGH die Rechtsfigur der negativen Erbfreiheit an, dürfte sich auch in diesen Fällen eine Erbausschlagung oder ein Pflichtteilsverzicht kaum als sittenwidrig darstellen.