Rz. 471

Ein in der Praxis oft übergangenes Problem ist die Vermutungsregel des § 2268 Abs. 2 BGB, die die Frage regelt, ob im Falle der Erhebung der Klage auf Auflösung oder Scheidung der Ehe oder im Falle der Zustimmung zur Scheidung durch den Erblasser eine Verfügung wirksam bleiben soll.[512] Nach der Rechtsprechung[513] können die Verfügungen gemeinschaftlich testierender Ehegatten gem. § 2268 Abs. 2 BGB trotz späterer Auflösung der Ehe oder gleichgestellter Voraussetzungen (§ 2077 Abs. 1 S. 2, 3 BGB) bei entsprechendem Willen voll inhaltlich aufrecht erhalten bleiben.[514]

 

Rz. 472

Nach §§ 2077, 2268 BGB spricht eine Vermutung dafür, dass das gemeinschaftliche Testament unwirksam ist, wenn die Ehe vor dem Tod des Erblassers aufgelöst wurde. Hierbei handelt es sich um eine Auslegungsregel, bei der die Rechtsprechung mehr und mehr zu einer individuellen Auslegung tendiert.[515] Darüber hinaus gilt gemäß § 2077 Abs. 1 S. 2 BGB die Auslegungsregel nur, wenn der Erblasser selbst den Scheidungsantrag gestellt hat.[516]

 

Rz. 473

Um Auslegungsstreitigkeiten zu vermeiden, sollte im Testament sowohl positiv als auch negativ die Feststellung getroffen werden, ob die Verfügung auch bei den oben genannten Voraussetzungen gelten soll oder nicht. Im Rahmen der Gestaltung der gemeinschaftlichen Verfügung von Todes wegen ist somit meist eine Regelung für den Fall der Scheidung aufzunehmen.

Die Regelung des § 2077 BGB kann nicht im Wege der Analogie zu einem allgemeinen Prinzip für letztwillige Zuwendungen an Ehepartner anderer[517] oder Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften[518] erhoben werden.[519]

 

Rz. 474

 

Formulierungsbeispiel: Anordnung für den Fall der Scheidung

Für den Fall, dass unsere Ehe vor dem Tode eines Ehegatten aufgelöst oder Klage auf Aufhebung erhoben oder die Scheidung der Ehe beantragt wurde oder im Falle der Zustimmung zur Scheidung durch den Erblasser selbst, sollen alle von uns getroffenen letztwilligen Verfügungen, sowohl für den ersten als auch für den zweiten Todesfall, ihrem ganzen Inhalt nach unwirksam sein. Dies gilt unabhängig davon, wer von uns beiden den Antrag auf Scheidung gestellt oder Klage auf Aufhebung erhoben hat und unabhängig davon, ob es sich um Zuwendungen untereinander oder zugunsten Dritter handelt.

 

Rz. 475

Checkliste: Ehegattentestament

Testierfähigkeit jedes Ehegatten

Testierfreiheit

gemeinschaftliches Testament
Erbvertrag

Erbeinsetzung (Einheitslösung/Trennungslösung)

Verfügung für den ersten Todesfall
Verfügung für den zweiten Todesfall
Ersatzerbenbestimmung

Wechselbezüglichkeit/Bindungswirkung

einzelne Bestimmungen
beider Ehegatten
nur eines Ehegatten
Anfechtungsverzicht (§ 2079 BGB)

Wiederverheiratungsklausel

bei Vollerbeneinsetzung
bei Vor- Nacherbschaft

Pflichtteilsklausel

einfache Pflichtteilsklausel
Pflichtteilsstrafklausel
Katastrophenklausel (gleichzeitiger Tod)
Regelung für den Fall der Scheidung (§ 2077 BGB)
 

Rz. 476

 
  Berliner Testament (Vollerbschaft) Vor- und Nacherbschaft Erbengemeinschaft Nießbrauch Ehepartner
Verfügungen für den ersten Todesfall (Erbeinsetzung) überlebender Ehegatte wird Alleinerbe (Vollerbe) überlebender Ehegatte wird Vorerbe überlebender Ehegatte als Miterbe mit Kindern (oder Dritten) in Erbengemeinschaft
    Nacherben werden die Kinder (o. Dritte) Nießbrauch Ehegatte an Erbteilen der Kinder § 2044 BGB
    (nur bzgl. Vermögen des Erstversterbenden) Ehegatte wird Testamentsvollstrecker Auseinandersetzungsausschluss
Verfügungen für den zweiten Todesfall (Erbeinsetzung) Schlusserben werden Kinder (oder Dritte) Kinder (oder Dritte) Schlusserben bzgl. Eigenvermögen des überlebenden Ehegatten (möglich als Vor- oder Vollerben) Kinder Schlusserben bzgl. des Erbteils des überlebenden Ehegatten und dessen Eigenvermögen
Bindungswirkung bezüglich bezüglich  
Wechselbezüglichkeit 1. u. 2. Todesfall 1. u. 2. Todesfall 1. u. 2. Todesfall
Änderungsvereinbarung Änderungsbefugnis des überlebenden Ehegatten Änderungsvorbehalt des überlebenden Ehegatten nur in Bezug auf sein Eigenvermögen möglich Änderung bezüglich Eigenvermögen
Wiederverheiratungsklauseln Herausgabevermächtnis zugunsten der Schlusserben Von befreiter zu nicht befreiter Vorerbschaft Nießbrauch erlischt, TV endet, Nachlassteilung ist vorzunehmen
Pflichtteilsklauseln einfache Pflichtteils-Klausel nur einfache Pflichtteils-Klausel möglich Pflichtteil und "Jastrow’sche" Klausel nur bei Ausschlagung
  "Jastrow’sche" PT-Strafklausel (+ Vermächtnis)    
Anfechtungsverzicht § 2079 BGB wg. Hinzutretens weiterer PT-Berechtigter § 2079 BGB wg. Hinzutretens weiterer PT-Berechtigter § 2079 BGB wg. Hinzutretens weiterer PT-Berechtigter
 

Rz. 477

 

Formulierungsbeispiel: Gemeinschaftliches Testament (Einheitslösung)

Wir, die Eheleute (...), geb. am (…), und (…), geborene (…), geb. am (…), beide wohnhaft (…), errichten das nachfolgende gemeinschaftliche Testament:

I. Persönliche Verhältnisse

Wir sind beiderseits in erster Ehe verheiratet und leben im Güterstand der Zugewin...

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