Dr. iur. Tobias Spanke, Walter Krug
Rz. 471
Ein in der Praxis oft übergangenes Problem ist die Vermutungsregel des § 2268 Abs. 2 BGB, die die Frage regelt, ob im Falle der Erhebung der Klage auf Auflösung oder Scheidung der Ehe oder im Falle der Zustimmung zur Scheidung durch den Erblasser eine Verfügung wirksam bleiben soll. Nach der Rechtsprechung können die Verfügungen gemeinschaftlich testierender Ehegatten gem. § 2268 Abs. 2 BGB trotz späterer Auflösung der Ehe oder gleichgestellter Voraussetzungen (§ 2077 Abs. 1 S. 2, 3 BGB) bei entsprechendem Willen voll inhaltlich aufrecht erhalten bleiben.
Rz. 472
Nach §§ 2077, 2268 BGB spricht eine Vermutung dafür, dass das gemeinschaftliche Testament unwirksam ist, wenn die Ehe vor dem Tod des Erblassers aufgelöst wurde. Hierbei handelt es sich um eine Auslegungsregel, bei der die Rechtsprechung mehr und mehr zu einer individuellen Auslegung tendiert. Darüber hinaus gilt gemäß § 2077 Abs. 1 S. 2 BGB die Auslegungsregel nur, wenn der Erblasser selbst den Scheidungsantrag gestellt hat.
Rz. 473
Um Auslegungsstreitigkeiten zu vermeiden, sollte im Testament sowohl positiv als auch negativ die Feststellung getroffen werden, ob die Verfügung auch bei den oben genannten Voraussetzungen gelten soll oder nicht. Im Rahmen der Gestaltung der gemeinschaftlichen Verfügung von Todes wegen ist somit meist eine Regelung für den Fall der Scheidung aufzunehmen.
Die Regelung des § 2077 BGB kann nicht im Wege der Analogie zu einem allgemeinen Prinzip für letztwillige Zuwendungen an Ehepartner anderer oder Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften erhoben werden.
Rz. 474
Formulierungsbeispiel: Anordnung für den Fall der Scheidung
Für den Fall, dass unsere Ehe vor dem Tode eines Ehegatten aufgelöst oder Klage auf Aufhebung erhoben oder die Scheidung der Ehe beantragt wurde oder im Falle der Zustimmung zur Scheidung durch den Erblasser selbst, sollen alle von uns getroffenen letztwilligen Verfügungen, sowohl für den ersten als auch für den zweiten Todesfall, ihrem ganzen Inhalt nach unwirksam sein. Dies gilt unabhängig davon, wer von uns beiden den Antrag auf Scheidung gestellt oder Klage auf Aufhebung erhoben hat und unabhängig davon, ob es sich um Zuwendungen untereinander oder zugunsten Dritter handelt.
Rz. 475
Checkliste: Ehegattentestament
▪ |
Testierfähigkeit jedes Ehegatten |
▪ |
Testierfreiheit
▪ |
gemeinschaftliches Testament |
▪ |
Erbvertrag |
|
▪ |
Erbeinsetzung (Einheitslösung/Trennungslösung)
▪ |
Verfügung für den ersten Todesfall |
▪ |
Verfügung für den zweiten Todesfall |
|
▪ |
Ersatzerbenbestimmung |
▪ |
Wechselbezüglichkeit/Bindungswirkung
▪ |
einzelne Bestimmungen |
▪ |
beider Ehegatten |
▪ |
nur eines Ehegatten |
|
▪ |
Anfechtungsverzicht (§ 2079 BGB) |
▪ |
Wiederverheiratungsklausel
▪ |
bei Vollerbeneinsetzung |
▪ |
bei Vor- Nacherbschaft |
|
▪ |
Pflichtteilsklausel
▪ |
einfache Pflichtteilsklausel |
▪ |
Pflichtteilsstrafklausel |
|
▪ |
Katastrophenklausel (gleichzeitiger Tod) |
▪ |
Regelung für den Fall der Scheidung (§ 2077 BGB) |
Rz. 476
|
Berliner Testament (Vollerbschaft) |
Vor- und Nacherbschaft |
Erbengemeinschaft Nießbrauch Ehepartner |
Verfügungen für den ersten Todesfall (Erbeinsetzung) |
überlebender Ehegatte wird Alleinerbe (Vollerbe) |
überlebender Ehegatte wird Vorerbe |
überlebender Ehegatte als Miterbe mit Kindern (oder Dritten) in Erbengemeinschaft |
|
|
Nacherben werden die Kinder (o. Dritte) |
Nießbrauch Ehegatte an Erbteilen der Kinder § 2044 BGB |
|
|
(nur bzgl. Vermögen des Erstversterbenden) |
Ehegatte wird Testamentsvollstrecker Auseinandersetzungsausschluss |
Verfügungen für den zweiten Todesfall (Erbeinsetzung) |
Schlusserben werden Kinder (oder Dritte) |
Kinder (oder Dritte) Schlusserben bzgl. Eigenvermögen des überlebenden Ehegatten (möglich als Vor- oder Vollerben) |
Kinder Schlusserben bzgl. des Erbteils des überlebenden Ehegatten und dessen Eigenvermögen |
Bindungswirkung |
bezüglich |
bezüglich |
|
Wechselbezüglichkeit |
1. u. 2. Todesfall |
1. u. 2. Todesfall |
1. u. 2. Todesfall |
Änderungsvereinbarung |
Änderungsbefugnis des überlebenden Ehegatten |
Änderungsvorbehalt des überlebenden Ehegatten nur in Bezug auf sein Eigenvermögen möglich |
Änderung bezüglich Eigenvermögen |
Wiederverheiratungsklauseln |
Herausgabevermächtnis zugunsten der Schlusserben |
Von befreiter zu nicht befreiter Vorerbschaft |
Nießbrauch erlischt, TV endet, Nachlassteilung ist vorzunehmen |
Pflichtteilsklauseln |
einfache Pflichtteils-Klausel |
nur einfache Pflichtteils-Klausel möglich |
Pflichtteil und "Jastrow’sche" Klausel nur bei Ausschlagung |
|
"Jastrow’sche" PT-Strafklausel (+ Vermächtnis) |
|
|
Anfechtungsverzicht |
§ 2079 BGB wg. Hinzutretens weiterer PT-Berechtigter |
§ 2079 BGB wg. Hinzutretens weiterer PT-Berechtigter |
§ 2079 BGB wg. Hinzutretens weiterer PT-Berechtigter |
Rz. 477
Formulierungsbeispiel: Gemeinschaftliches Testament (Einheitslösung)
Wir, die Eheleute (...), geb. am (…), und (…), geborene (…), geb. am (…), beide wohnhaft (…), errichten das nachfolgende gemeinschaftliche Testament:
I. Persönliche Verhältnisse
Wir sind beiderseits in erster Ehe verheiratet und leben im Güterstand der Zugewin...