Klaus von Brocke, Dr. Stefan Müller
Rz. 21
Die Grundfreiheiten gewähren grundsätzlich keinen Schutz für Gesellschaften aus Drittstaaten. Eine Ausnahme hiervon bildet, wie bereits ausgeführt, die Kapitalverkehrsfreiheit. Ob bei der Prüfung der Kapitalverkehrsfreiheit in Bezug auf Drittstaatensachverhalte die gleichen Prüfungsmaßstäbe anzuwenden sind wie bei unionsinternen Sachverhalten, war lange Zeit nicht unumstritten, da der EuGH bis 2007 solche Sachverhalte ausschließlich an den Maßstäben der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) oder vor allem der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV) beurteilte, welche jedoch gegenüber Drittstaaten keine Rechte begründen. In seinem Urteil im Fall A wies der EuGH schließlich darauf hin, dass "die Rechtsprechung, die sich auf Beschränkungen der Ausübung der Verkehrsfreiheiten innerhalb der Union bezieht, … nicht in vollem Umfang auf den Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten übertragen werden [kann], da sich dieser in einen anderen rechtlichen Rahmen einfügt …". Letztlich kommt der EuGH somit zum Schluss, dass eine Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 56 ff. AEUV gegenüber Drittstaaten durchaus gerechtfertigt sein kann, wie er bereits im Fall FII Group Litigation angedeutet hatte. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn kraft fehlenden Anwendungsbereichs der Amtshilfe-Richtlinie oder sonstiger bilateraler Auskunftsmethoden keine steuerliche Kontrolle ausgeübt werden kann; siehe hierzu aktuell EuGH in der Rs. Rimbaud sowie in der Rs. Emerging Markets.
Rz. 22
Bei Sachverhalten mit Drittlandbezug können ggf. auch DBA-rechtliche Diskriminierungsverbote herangezogen werden. So hat beispielsweise der BFH in dem sog. Delaware-Urteil entschieden, dass eine US-Kapitalgesellschaft mit Satzungssitz in den USA, die ihre tatsächliche Geschäftsleitung nach Deutschland verlegt, als Organträgerin einer inländischen Kapitalgesellschaft fungieren kann. Der BFH verwies auf die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Überseering, in der der EuGH deutlich gemacht hat, dass die Niederlassungsfreiheit einen Mitgliedstaat verpflichtet, den rechtlichen Status einer Gesellschaft, die ihre Geschäftsleitung in einen EU-Mitgliedstaat verlegt, anzuerkennen und von einer Auflösung der Gesellschaft (aufgrund der in Deutschland geltenden sog. Sitztheorie) abzusehen. Diese Grundsätze müssen laut BFH aufgrund des in Art. 24 Abs. 4 DBA Deutschland–USA 1989 verankerten Diskriminierungsverbots auch für eine US-Gesellschaft gelten.