Klaus von Brocke, Dr. Stefan Müller
a) Wesentlicher Inhalt
Rz. 70
Ziel der in ihrer ursprünglichen Form bereits 1990 verabschiedeten Fusions-Richtlinie ist die Anpassung von Unternehmen an die Erfordernisse des gemeinsamen Marktes, eine Erhöhung ihrer Produktivität und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene durch Erleichterung der Verlagerung und Umstrukturierung der Unternehmenstätigkeit innerhalb der EU. Die Umstrukturierungen sollen nicht durch Liquiditätsbelastungen infolge von Gewinnrealisation und den damit verbundenen Steuerzahlungen beschränkt werden. Andererseits führt eine grenzüberschreitende Fusion zum Wegfall der übertragenden Gesellschaft als Steuersubjekt, so dass gleichzeitig sichergestellt werden muss, dass das Steueraufkommen des bisherigen Ansässigkeitsstaates der übertragenden Gesellschaft durch die grenzüberschreitende Umstrukturierung nicht negativ beeinflusst wird.
Rz. 71
Die Fusions-Richtlinie erreicht das Ziel der Sicherung des Steueraufkommens dadurch, dass die steuerneutrale Übertragung nur unter der Bedingung möglich ist, dass das übertragene Betriebsvermögen nach der Übertragung einer Betriebsstätte der übernehmenden Gesellschaft im Staat der übertragenen Gesellschaft zuzurechnen ist. Die für die Unternehmen wichtige Steuerneutralität sichert die Fusions-Richtlinie dadurch, dass sie die stillen Reserven nicht aufgrund der jeweiligen Umstrukturierungsmaßnahme aufdeckt und sofort besteuert, sondern die Besteuerung von stillen Reserven bis zum Zeitpunkt ihrer Realisierung, der i.d.R. durch die Veräußerung von Anteilen oder Unternehmensteilen eintritt, aufschiebt.
b) Tatbestandsvoraussetzungen
Rz. 72
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Bestimmte zur Steuerneutralität berechtigende Vorgänge |
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zwischen Kapitalgesellschaften, die eine der im Anhang zur Richtlinie genannte Rechtsform aufweisen |
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unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht im Ansässigkeitsstaat (gem. Art. 3b und 3c der Richtlinie) |
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Zugehörigkeit der beteiligten Kapitalgesellschaft zu verschiedenen EU-Mitgliedstaaten |
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Betriebsstätten- und Steuerverhaftungsbedingung. |
aa) Umsetzung der Richtlinie
Rz. 73
Nach Art. 12 der Fusions-Richtlinie war diese bis zum 31.12.1991 durch die Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen. Auf Vorschlag der EU-Kommission hat der Rat der EU-Finanzminister einige Änderungen der Fusions-Richtlinie beschlossen. Die im Rahmen dieser Änderungen hinzugekommenen Anpassungen waren in Bezug auf die Regelungen betreffend die Europäische Aktiengesellschaft (SE) und Europäische Genossenschaft (SCE) bis zum 1.1.2006, im Übrigen bis zum 1.1.2007 umzusetzen.
Rz. 74
Im Rahmen des am 13.12.2006 in Kraft getretenen Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) wurde das deutsche Umwandlungssteuergesetz vollständig neu gefasst. Der persönliche Anwendungsbereich des Umwandlungssteuergesetzes wurde auf alle in der EU und EWR ansässigen Rechtsträger ausgedehnt und die Regelungen für Spaltung und Verschmelzung wurden kodifiziert. Dadurch wurde die Möglichkeit zur grenzüberschreitenden Verschmelzung, jedoch nicht zur grenzüberschreitenden Spaltung geschaffen.