Klaus von Brocke, Dr. Stefan Müller
Rz. 26
Die sog. Mutter-Tochter-Richtlinie zielt auf eine Beseitigung steuerlicher Mehrfachbelastung infolge Dividendenausschüttungen einer Tochtergesellschaft an ihre in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft ab. Hintergrund für die Schaffung der Richtlinie war die Feststellung, dass die für Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten geltenden steuerlichen Regelungen im Allgemeinen ungünstiger waren als zwischen Gesellschaften desselben Staates. Um eine mögliche (wirtschaftliche) Doppelbesteuerung der ausgeschütteten Gewinne mit Körperschaftsteuer zu vermeiden, bestimmt Art. 4 der Richtlinie, dass der Staat der Muttergesellschaft die Gewinnausschüttungen der EU-Tochtergesellschaft von der Steuer befreit oder im Falle einer Besteuerung der Muttergesellschaft eine Steueranrechnung der von der Tochtergesellschaft für die von ihr ausgeschütteten Gewinne entrichteten Steuer gestattet. Korrespondierend verzichtet der Staat der Tochtergesellschaft auf die Erhebung von Quellensteuer auf die ausgeschütteten Gewinne (Art. 5 der Richtlinie).
Rz. 27
In Anbetracht des Aktionsplans der Kommission zur Verstärkung der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung wurde von der Kommission eine Änderung der Mutter-Tochter-Richtlinie vorgeschlagen und vom Rat am 8.7.2014 angenommen. Danach sollen sog. Hybridanleihenstrukturen verhindert werden. Eine Hybridanleihenstruktur liegt vor, wenn nach dem Recht des einen Mitgliedstaates eine Kapitalzuwendung als Darlehen, nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates diese dagegen als Eigenkapital qualifiziert wird. Steuerlich hat dies zur Folge, dass im erstgenannten Staat entsprechende Aufwendungen steuermindernd wirken, im zweitgenannten Staat eine Dividendenausschüttung wiederum steuerbefreit oder -begünstigt ist. Durch die Änderung der Mutter-Tochter-Richtlinie soll es nun den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, die Dividendenfreistellung zu verweigern, wenn die Zahlung im Quellenstaat von der dortigen Bemessungsgrundlage abgezogen werden konnte. Eine derartig korrespondierend wirkende Regelung setzt natürlich voraus, dass sich Sitz- und Quellenstaat der Mutter-Tochter-Beziehung im Hinblick auf die Zahlungsströme und die Art ihrer steuerlichen Behandlung gegenseitig informieren. Dies soll mit der ab 1.1.2013 verbindlich umzusetzenden neuen EU-Amtshilfe-Richtlinie vom 15.2.2011 und den darin verbesserten steuerlichen Informationsaustauschmechanismen bewerkstelligt werden. Das Korrespondenzprinzip ist im deutschen Rechtssystem mittels § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG bereits umgesetzt, der die Freistellung der Bezüge nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG versagt, falls diese das Einkommen der Gesellschaft gemindert haben.
Daneben hat der Rat in seiner Sitzung vom 9.12.2014 die Aufnahme einer allgemeinen Anti-Missbrauchsklausel in der Mutter-Tochter-Richtlinie beschlossen. Ziel ist, eine Vielzahl an Umgehungsgestaltungen zu erfassen. Die Klausel stellt darauf ab, dass der wesentliche Zweck oder ein wesentlicher Zweck unter mehreren einer Gestaltung darin bestehen muss, einen Vorteil zu erlangen, der von dem Ziel und dem Zweck der Richtlinie nicht gedeckt ist. Liegt dieser Zweck vor, so kann die Anwendung der Mutter-Tochter-Richtlinie versagt werden.