Klaus von Brocke, Dr. Stefan Müller
Rz. 272
Werden Wirtschaftsgüter von einer inländischen Betriebsstätte einer GmbH in eine im Ausland belegene Betriebsstätte dieser GmbH bzw. in umgekehrter Richtung transferiert, so gelten hierfür besondere Grundsätze. Diese sind in den sog. Entstrickungstatbeständen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG festgelegt, die mit dem SEStEG vom 7.12.2006 mit Wirkung für nach dem 31.12.2005 endende Wirtschaftsjahre eingeführt wurden. Danach gilt der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsgutes als dessen Entnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG) bzw. Veräußerung oder Überlassung des Wirtschaftsgutes zum gemeinen Wert (§ 12 Abs. 1 KStG). Diese Bestimmungen beruhen auf dem Gedanken, dass die Überführung eines Wirtschaftsgutes aus dem deutschen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte jeweils zu einem entsprechenden Ausschluss des Besteuerungsrechts führt. Danach führt der Transfer eines Wirtschaftsgutes aus einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte zur Realisierung der stillen Reserven. Anders als die zuvor geltenden Grundsätze nach der ursprünglichen Fassung des BMF-Schreibens zu den Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätzen spielt die Frage, ob der Transfer in einen Staat erfolgt, mit dem die Bundesrepublik Deutschland kein DBA bzw. ein solches abgeschlossen hat, das die Anrechnungsmethode anwendet, oder in einen Staat mit einem DBA nach der Freistellungsmethode, keine Rolle mehr. Vielmehr führt nach der neuen Fassung des BMF-Schreibens der Transfer eines Wirtschaftsgutes aus einer im Ausland gelegenen sog. Anrechnungsbetriebsstätte (unabhängig davon, ob nach DBA oder ohne DBA) in eine ausländische DBA-Freistellungsbetriebsstätte bereits zur Aufdeckung der stillen Reserven.
Rz. 273
Hintergrund für eine erneute Änderung dieser Entstrickungsregeln ist die Aufgabe der sog. Theorie der finalen Entnahme durch den BFH mit Urteil vom 17.7.2008. Nach dieser Entscheidung wird das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland – anders als nach der bisher vertretenen Theorie der finalen Entnahme – bezüglich der späteren Realisierung der stillen Reserven (z.B. durch Veräußerung) gerade nicht durch die Überführung eines Wirtschaftsgutes aus dem deutschen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte ausgeschlossen. Es war umstritten, ob diese Rechtsprechungsänderung des BFH zur Folge hat, dass die Entstrickungstatbestände zumindest teilweise leerlaufen.
Rz. 274
Mit den im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2010 in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG und § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG aufgenommenen Regelbeispielen verfolgt der Gesetzgeber nach seinen Worten lediglich eine Klarstellung. Tatsächlich werden damit jedoch die Rechtsfolgen der vom BFH gerade aufgegebenen finalen Entnahmetheorie kodifiziert. Danach liegt ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsgutes insbesondere dann vor, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte zugeordnetes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zugeordnet wird. Auch diese Regelungen gelten grundsätzlich für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2005 enden. Ob diese Rückwirkung einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten wird, darf bezweifelt werden.
Rz. 275
Damit führt die Überführung eines Wirtschaftsgutes aus dem deutschen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte grundsätzlich zur Aufdeckung und Versteuerung der stillen Reserven. Das gilt für Wirtschaftsgüter sowohl des Anlage- als auch des Umlaufvermögens und ebenso für selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter.
Rz. 276
Für den Fall der Überführung eines Wirtschaftsgutes aus dem inländischen Stammhaus in eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte sieht § 4g EStG (i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG) eine Erleichterung durch einen ratierlichen Aufschub der Gewinnrealisierung vor. Danach kann in Höhe der aufgedeckten stillen Reserven auf unwiderruflichen Antrag ein Ausgleichsposten gebildet werden (§ 4g Abs. 1 EStG). Dieser ist im Wirtschaftsjahr seiner Bildung und den vier folgenden Wirtschaftsjahren jeweils zu einem Fünftel gewinnerhöhend aufzulösen (§ 4g Abs. 2 Satz 1 EStG). Vor Ablauf dieser Frist ist er in vollem Umfang gewinnerhöhend aufzulösen, wenn das Wirtschaftsgut endgültig aus dem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen (z.B. durch Veräußerung oder tatsächliche Entnahme) oder aus der Besteuerungshoheit der EU-Mitgliedstaaten (z.B. durch Transfer in eine außereuropäische Betriebsstätte) ausscheidet oder wenn die stillen Reserven im Ausland aufgedeckt werden oder nach deutschem Steuerrecht hätten aufgedeckt werden müssen (z.B. im Fall der Verlagerung der EU-Betriebsstätte in das Nicht-EU-Ausland).
Rz. 277
Ob eine solche ratierliche Besteuerung der in einen anderen EU-Mitgliedstaat verbrachten Wirtschaftsgüt...