Rz. 181

Der überkommenen Rechtsprechung des BFH zu Verlusten ausländischer Betriebsstätten unbeschränkt Steuerpflichtiger liegt der bereits auf den RFH zurückgehende Gedanke zugrunde, dass die Freistellung nach den DBA sowohl positive als auch negative Einkünfte erfasst (sog. Symmetriethese). Das hat zur Folge, dass die Verluste aus ausländischen Betriebsstätten aufgrund der von den DBA vorgesehenen Freistellungsmethode von der Berücksichtigung bei der inländischen Besteuerung ausgeschlossen sind.[130] Indes gibt es auch unter der Geltung eines DBA Situationen, in denen die Anrechnungsmethode zur Anwendung kommt, z.B. wenn das entsprechende DBA einen Aktivitätsvorbehalt enthält. In diesen Fällen kommt dann die Beschränkung des § 2a EStG zur Anwendung.[131]

 

Rz. 182

Gegen die Symmetriethese wurden in der Literatur aus der Sicht einer autonomen Interpretation der DBA-Bestimmungen und aus der Perspektive einer an den Grundfreiheiten der EU gemessenen Auslegung der DBA erhebliche Zweifel angemeldet, da der Ausschluss der steuerlichen Berücksichtigung von Verlusten aus Betriebsstätten in DBA-Staaten europarechtlich bedenklich ist, weil er die Niederlassungsfreiheit i.S.d. Art. 49 AEUV bzw. die Kapitalverkehrsfreiheit i.S.d. Art. 63 AEUV beeinträchtigt, da inländische Verluste im Gegensatz zu diesen ausländischen grundsätzlich ohne weiteres zum Abzug zugelassen werden.

 

Rz. 183

Am 15.5.2008 hat der EuGH in der Rechtssache Lidl Belgium[132] entschieden, dass eine Einmalberücksichtigung von Verlusten aus einer EU-Betriebsstätte beim inländischen Stammhaus dann möglich ist, sofern im Betriebsstättenstaat keine Möglichkeit zum Abzug der Verluste mehr besteht ("finale Verluste"). Wann Verluste "final" sind und in welchem Veranlagungszeitraum und für welche Ertragsteuerarten finale Verluste zu berücksichtigen sind, hat der BFH in zwei Urteilen vom 9.6.2010[133] konkretisiert. Der BFH unterscheidet in seiner bisherigen Rechtsprechung dabei den Fall des rechtlichen und den Fall des tatsächlichen Untergangs der Verluste:

Keine Finalität aufgrund rechtlicher Verlustabzugsbeschränkungen im Betriebsstättenstaat: Verluste sind nach Auffassung des BFH dann nicht "final", wenn sie im Betriebsstättenstaat aufgrund der dort geltenden nationalen Steuergesetze vollständig oder nach Ablauf eines Verlustvortragszeitraums vom Abzug ausgeschlossen sind.

Nach Auffassung des BFH kann auch ein EU-Betriebsstättenstaat autonom darüber entscheiden, ob er die seiner Besteuerungshoheit unterliegenden Verluste steuerlich zum Abzug zulässt oder nicht. Folge dieser Autonomie sei aber auch, dass der Ansässigkeitsstaat des inländischen Steuerpflichtigen bzw. des inländischen Stammhauses nicht verpflichtet sei, die eventuell ungünstigen Konsequenzen der steuerlichen Regelungen des Betriebsstättenstaates zu korrigieren, selbst wenn dies im Ergebnis zu einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit führt.[134]

Finalität aufgrund tatsächlicher Umstände: "Finale" Betriebsstättenverluste liegen nach Auffassung des BFH jedoch vor, wenn die Verluste aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden können. Als tatsächliche Gründe nennt er beispielhaft Fälle der Umwandlung der Auslandsbetriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft, der entgeltlichen oder unentgeltlichen Übertragung der Betriebsstätte oder der Aufgabe der Betriebsstätte. Können die Verluste im Betriebsstättenstaat letztlich doch noch in Folgejahren berücksichtigt werden, entfällt die Finalität nachträglich.[135]
 

Rz. 184

Schließlich konkretisierte der BFH auch die Frage, in welchem Veranlagungszeitraum und für welche Steuerarten finale Verluste zu berücksichtigen sind.

Abzug finaler Verluste erst im Finalitätsjahr: Finale Verluste sind danach (erst) in dem Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum zu berücksichtigen, in dem die "Finalität" feststeht. Begründet wird dieser Abzugszeitpunkt zum einen damit, dass auch im Betriebsstättenstaat aufgrund der ausgeschöpften Verlustabzugsmöglichkeiten ein Abzug erst in einem dem Entstehungsjahr folgenden Veranlagungszeitraum möglich gewesen wäre, und zum anderen damit, dass eine "phasenverschobene" Berücksichtigung die praktische Handhabung des Abzugs erleichtere.
Abzug finaler Verluste auch von der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage: Finale Verluste einer ausländischen EU-Betriebsstätte können im Inland sowohl von der einkommen- und körperschaftsteuerlichen als auch von der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage abgezogen werden. Eine Hinzurechnung nach § 9 Nr. 3 GewStG findet nicht statt, da der hier anzunehmende Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auch auf die Gewerbesteuer durchschlägt.
 

Rz. 185

Der EuGH hat seine Rechtsprechung zu finalen Verlusten trotz mehrerer sehr kritischer Schlussanträge der Generalanwälte in den Verfahren A OY (zu einem grenzüberschreitenden upstream-merger), K (zu Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften) und in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien (zur Umsetzung des Marks & Spencer-Urtei...

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