Klaus von Brocke, Dr. Stefan Müller
Rz. 5
Das primäre Europarecht setzt sich insbesondere aus den Gründungsverträgen, aus Assoziationsabkommen, die die Union mit anderen Staaten abschließt, und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zusammen. Entscheidenden Einfluss auf die nationalen Steuerrechtsnormen erlangt das europäische Recht dabei durch die Rechtsprechung des EuGH zu den im AEU-Vertrag festgelegten Grundfreiheiten.
Rz. 6
Bei der Prüfung der Vereinbarkeit eines von einer nationalen steuerrechtlichen Norm geregelten Sachverhalts mit den Grundfreiheiten wendet der EuGH im Wesentlichen für alle Grundfreiheiten den gleichen Maßstab an. Eine Unvereinbarkeit mit den Grundfreiheiten liegt vor, wenn
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die Norm in den Anwendungsbereich einer der Grundfreiheiten fällt, |
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eine Beschränkung oder Diskriminierung dieser Grundfreiheit vorliegt, |
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für die Beschränkung oder Diskriminierung kein Rechtfertigungsgrund vorliegt oder |
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bei Vorliegen eines relevanten Rechtfertigungsgrundes dieser nicht in verhältnismäßiger Weise angewendet wird. |
1. Anwendungsbereich einer Grundfreiheit
Rz. 7
Zu den Grundfreiheiten des AEU-Vertrags zählen die
Jede dieser Grundfreiheiten schützt ganz bestimmte grenzüberschreitende Tätigkeiten von Personen oder Unternehmen. Im Rahmen der Besteuerung einer GmbH kommt der Niederlassungs- und der Kapitalverkehrsfreiheit entscheidende Bedeutung zu.
a) Niederlassungsfreiheit
Rz. 8
Die Niederlassungsfreiheit gewährleistet nach Art. 49 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 54 Abs. 1 AEUV den nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb des Unionsgebietes haben, das Recht, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch Agenturen, Zweigniederlassungen und Tochterkapitalgesellschaften auszuüben. Der EuGH fasst hierbei das Halten von Beteiligungen an einer Gesellschaft nur dann unter die Niederlassungsfreiheit, wenn der Anteilseigner einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft ausüben kann.
Rz. 9
Die Anwendung der Niederlassungsfreiheit ist auf Gesellschaften mit Sitz in der EU beschränkt, so dass sich Gesellschaften aus Drittstaaten nicht auf diese Grundfreiheit berufen können. Teilweise wird in der Literatur die Auffassung vertreten, die Niederlassungsfreiheit könne durch die von der EU mit bestimmten Drittstaaten geschlossenen Assoziierungsabkommen, durch Regelungen in einigen DBA sowie durch die z.B. im Freundschaftsabkommen zwischen den USA und Deutschland enthaltene Meistbegünstigungsklausel auch auf Drittländer ausgedehnt werden. Hier ist jedoch für jeden Drittstaat gesondert zu prüfen, ob eine Ausdehnung der Niederlassungsfreiheit aufgrund der beschriebenen Regelungen angenommen werden kann. Im Regelfall ist dies allerdings nicht der Fall.
b) Kapitalverkehrsfreiheit
Rz. 10
Nach Art. 63 Abs. 1 AEUV sind grundsätzlich "alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten". Unter Kapitalverkehr ist der grenzüberschreitende Transfer von Werten in Form von Geld- oder Sachkapital zu verstehen. Ausschlaggebend für die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit ist damit lediglich, dass die Kapitalbewegung in einem Mitgliedstaat beginnt oder endet, so dass auch der Kapitalverkehr geschützt ist, an dem Personen oder Gesellschaften aus Drittstaaten beteiligt sind. Zur Bestimmung, ob ein Vorgang unter die Kapitalverkehrsfreiheit fällt, kann die Kapitalverkehrsrichtlinie als Auslegungshilfe herangezogen werden, in deren Anhang beispielhaft Vorgänge aufgeführt sind, die als Kapitalverkehr gelten. Hierzu zählen insbesondere die Gewährung von Darlehen jeder Art, grenzüberschreitende Direktinvestitionen in Form von Beteiligungen und die Übertragung von Unternehmensbeteiligungen.
Rz. 11
Bei speziellen Kapitalbewegungen, wie z.B. der Gründung von Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten, kann neben der Kapitalverkehrsfreiheit auch die Niederlassungsfreiheit betroffen sein. Die Frage der Abgrenzung zwischen der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit wurde durch den EuGH nach den Kriterien der regelungsbezogenen und sachverhaltsbezogenen Betrachtungsweise dahin gehend entschieden, dass die Kriterien kumulativ angewendet werden. Die bislang im herrschenden Schrifttum vorhandene Meinung, dass die Kapitalverkehrsfreiheit eine Komplementärfunktion in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit erfüllt, dürfte wohl zumindest für Drittstaatenverhältnisse durch die Urteile des EuGH in den Rechtssachen Lasertec, Fidium Finanz sowie KBC Bank überholt sein. Wenn z.B. gemäß der in Frage stehenden nationalen...